Wer kennt sie nicht, die vermeintlich „harmlose“ Spritze gegen Knieschmerzen? Diese Spritzen gegen Schmerzen im Knie werden täglich tausendfach in orthopädischen Arztpraxen verabreicht. Die „Spritzenkur“ unter anderen mit lokalen Schmerzmitteln soll Kniebeschwerden und Entzündungen lindern, doch deren Wirkung geht noch viel tiefer. Jetzt steht der Verdacht im Raum, dass diese Injektionen ins Kniegelenk massive Knorpelschäden hervorrufen.
Warnhinweise sind in den USA schon lange Pflicht
Bereits im Jahr 2009 berichtete das deutsche Ärzteblatt, dass die amerikanische Zulassungsbehörde für Arzneimittel und Lebensmittel (FDA) zusätzlich Warnhinweise für lokal verabreichte Anästhetika herausgegeben hat, weil sie im Verdacht stehen, sich negativ auf den hyalinen Gelenkknorpel auszuwirken. Vereinfacht ausgedrückt rufen lokale Anästhetika, den Zustand der Empfindungslosigkeit zum Zweck einer operativen oder diagnostischen Maßnahme hervor – kurz gesagt: „örtliche Betäubungsmittel“.
Die Warnung erfolgte, aufgrund von 35 Patienten, sie allen unterzogen sich damals einem arthroskopischen Eingriff (ASK) mit sich anschließenden Schmerztherapie mittels Schmerzkatheter von 48 bis 72 Stunden. Allen Patienten wurde ein Lokalanästhetikum in die Gelenkhöhle (= intraartikulär) hauptsächlich der Schulter geleitet, um die Schmerzen nach der OP zu lindern.
Etwa ab dem zweiten Monat klagten ein Teil der Patienten vermehrt wieder über Gelenkschmerzen, Steifigkeit und Bewegungseinschränkungen. Nach durchschnittlich 8,5 Monaten ergaben die Kontrolluntersuchungen eine Zerstörung bzw. Auflösung des Gelenkknorpels (Chondrolyse) festgestellt.
Was für den zerstörten Gelenkknorpel letztlich verantwortlich war – die längere Anwendung der Lokalanästhetika oder aus der Pumpe freigesetzte Partikel – konnte die FDA damals nicht ermitteln. Trotzdem gab die US-Behörde eine zusätzliche Kennzeichnungspflicht für die Hersteller heraus, aus deren Angaben ersichtlich sein musste, dass die Gefahr einer Knorpelschädigung bei einer längerfristigen intraartikulären Gabe von Lokalanästhetika besteht.
Eine einmalige und kurzfristige intraartikuläre Anwendung von lokalen Schmerzmitteln, die seit langem üblich ist, hielt die FDA damals für unbedenklich.
Doch genau die Einstufung als „unbedenklich“, wird nun in dem Fachartikel „Einfluss lokaler Anästhetika auf den hyalinen Gelenkknorpel“ von P. Angele und J. Zellner (online publiziert 23. Mai 2016, Zeitschrift für Arthroskopie) hinterfragt.
Gängige Methoden der Schmerztherapie in der Kniechirurgie
Neben einer oralen Schmerztherapie, also in Tablettenform, sowie auf intravenösem Wege (Infusion über die Venen) und periphere Nervenblockaden kommen auch Lokalanästhetika bei Schmerzen im Knie zum Einsatz. Diese Form der Schmerzbekämpfung geschieht vor, während und auch nach Knieoperationen.
Allgemein gesprochen sind Lokalanästhetika, Arzneimittel zur lokalen Betäubung bei chirurgischen Eingriffen. Sie begrenzen örtlich die Erregbarkeit von sensiblen Nervenfasern und reduzieren somit den Schmerz. Dies geschieht in der Allgemeinchirurgie, sowohl im Knie- und Sprunggelenk aber auch in der Schulter oder den Handgelenken.
Alarmstufe „rot“, warum kaum jemand Notiz davon nahm
Jahrzehnte lang galt die Spritze gegen Schmerzen mit einem lokalen Anästhetika direkt in die Kniegelenkhöhle oder innerhalb der Kniegelenkkapsel für den Knorpel im Kniegelenk als unbedenklich – auch wenn die Beipackzettel der Hersteller darauf hinweisen.
Erst die beunruhigen Berichte über die giftige (sogenannte toxische) Wirkung von lokalen Anästhetika auf andere Zelltypen, führten dazu, dass in den letzten Jahren intensiver über deren Wirkung auf den Gelenkknorpel geforscht und auch diskutiert wurde [14].
Besonders hervorheben möchte ich eine interessante Studie mit 105 Patienten, die sich einer vorderen Kreuzband-OP (VKB-Plastik) unterzogen:
- 59 Patienten erhielten keine Schmerzpumpe,
- 46 Patienten erhielten den Wirkstoff Bupivacain (0,25, 0,5 % in unterschiedlicher Konzentration) mittels eines Pumpensystems.
Ergebnis: Es zeigte sich keine Knorpelschädigung bei den 59 Patienten ohne Schmerzpumpe. Bei den 46 Patienten mit Schmerzpumpensystem fanden die Mediziner bei 13 Patienten eine Knorpelauflösung [13]. Insgesamt sind das 50 % der mit Lokalanästhetika behandelten Patienten. Damit liegt der Verdacht nahe, dass sich intraartikulär verabreichtes Bupbivacain über Tage toxisch auf die Knorpelschicht auswirkt. Interessanterweise hat das Schicksal der Chondrolyse nicht alle behandelnden Patienten getroffen – trotzdem legt es den Verdacht nahe, dass ein Zusammenhang besteht.
Skepsis ist das Beste Rezept bei Schmerzen im Knie
Der Artikel: „Einfluss lokaler Anästhetika auf den hyalinen Gelenkknorpel“ stellt, außer der erwähnten Kreuzband-Studie, weitere Studien in Form einer Literaturübersicht vor, die den Einfluss von Lokalanästhetika auf den Gelenkknorpel beleuchten und gibt abschließend Empfehlungen für die ärztliche Praxis ab.
Meine Intension mit diesem Beitrag besteht nicht in der Replikation der wissenschaftlichen Reviews, sondern ich möchte meine Blogleser sensibilisieren und gleichzeitig aufzeigen, wo genau diese lokalen Anästhetika in der Orthopädie und Sportmedizin im Einsatz sind.
Ohne Information ist der Patient „ausgeliefert“ – zu selten kommt das Wissen vom Arzt selbst, deshalb schreibe ich diesen Beitrag. Ich wünsche mir, dass Patienten zukünftig vermehrt nachfragen, was genau die Spritze gegen die Schmerzen im Knie enthält. Genauso wichtig ist das Thema für alle Patienten, die vor einer Knie-OP stehen, denn auch dort kommen die Wirkstoffe zum Einsatz.
Mittel zur örtlichen Betäubung im Rahmen von Knieoperationen
Sämtliche oben genannte Wirkstoffe gibt es in verschiedenen Konzentrationslösungen und Wirkstoffklassen. Sie werden gewöhnlich im Rahmen der örtlich begrenzten Schmerzausschaltung bei chirurgischen Eingriffen verwendet, sowohl diagnostisch als auch therapeutisch.
Die lokale Schmerzausschaltung erfolgt durch Einbringen (Injektion) eines Lokalanästhetikums über eine Kanüle in ein Gewebe oder innerhalb der Kniegelenkskapsel (auch Kniehöhle). Nach dem Spritzen des Lokalanästhetikums verteilt sich der Wirkstoff durch Diffusion zwischen den Gewebspalten und gelangt so in die Nähe der Nervenfasern.
Der direkte Weg in das Kniegelenk des Patienten funktioniert in der orthopädischen oder kniechirurgischen Arbeit auf zwei Wegen:
- Verabreichung einer einmaligen intraartikuläre Injektion, d. h., der Wirkstoff wird direkt in die Gelenkkapsel gespritzt.
- Applikation von Lokalanästhetika über eine kontinuierliche und intraartikuläre Gabe (bis zu 48 Stunden) durch ein Schmerzpumpensystem im Rahmen von Knieoperationen.
Beispielsweise wird der Wirkstoff Bupivacain sowohl bei der örtlichen Betäubung und der Betäubung ganzer Körperregionen eingesetzt. Bupivacain dient zur Leitungsanästhesie (Betäubung entlang ganzer Nervenstränge), zur Infiltrationsanästhesie (Einspritzung in das Gewebe zu einer lokal umschriebenen Schmerzstillung), zur Schmerztherapie und zur Ausschaltung des Sympathikus (Teil des vegetativen Nervensystems) bei Schmerzzuständen, die von diesem Nerv ausgehen. Die Literaturstudien betrachten jene Anwendungsgebiete als kritisch, die direkt in die Kniegelenkskapsel erfolgen – also im direkten Kontakt mit dem hyalinen Knorpel im Knie stehen [1].
Örtliche Betäubungsmittel, der „versteckte“ Schadstoff im klinischen Alltag
Das Problem am Einsatz von lokal wirkenden Anästhetika liegt darin, dass sie oft ungefragt, d. h. ohne ausdrückliche Zustimmung des Patienten erfolgen. Dem Patienten ist gar nicht bewusst, dass diese Wirkstoffe bei ihm im Rahmen der Behandlung am Knie eingesetzt werden. Beispielsweise erzählen Ärzte, dass sie Kortison (lat. Cortison) ins Kniegelenk spritzen, „vergessen“ dabei zu erwähnen, dass gleichzeitig auch ein lokales Anästhetika zum Einsatz kommt.
Kortisonspritzen ins Knie gegen Schmerzen
Häufig werden dem Patienten nämlich Mischungen (Kombinationen) aus einem Lokalanästhetika mit Glukokortikoiden (lat. Cortsion) gespritzt. Dabei dient das Kortison zur Linderung einer Entzündung in einer bestimmten Körperregion und das lokal wirkende Anästhetikum zur zeitliche begrenzten Ausschaltung von Schmerzen im Kniegelenk – die Betonung liegt auf zeitlich begrenzt, so hat der Wirkstoff Bupivacain beispielsweise etwa eine Halbwertszeit von 6 bis 8 Stunden, Procain ca. 1 bis 2 Stunden.
Diese Form von Lokalanästhesie in Kombination mit Kortison kommt zum Einsatz, wenn andere Behandlungsmethoden nicht den gewünschten Erfolg bringen. Mögliche Indikationen sind dauerhafte und entzündliche Gelenkerkrankungen die auf andere Therapien nicht ansprechen, bei rheumatoider Arthritis, entzündlichen Reizzuständen und einer nicht bakteriellen Schleimbeutelentzündung (Bursitis) sowie bei einer Kniegelenkkapselentzündung und Kniearthrose.
Als Patient leichtfertig einer Spritze gegen Schmerzen im Knie zustimmen, ohne vorher konservativ alles ausgereizt zu haben, muss immer gut überlegt sein – unter diesen Umständen noch mehr. Auch wenn die Autoren im Artikel ausdrücklich darauf hinweisen, dass einmalige Injektionen als nicht ausreichend abgesichert als schädlich einzustufen sind – […] gibt es doch Anzeichen von zytotoxischen Effekten in präklinischen Studien bei einmaligen Anwendung eines Lokalanästhetikum [2].
Kontinuierliche Verabreichung, warum das Knie nach Knie-OP taub bleiben soll
Das „Verkaufsargument“ für eine intraartikuläre Schmerzpumpe klingt in etwa so: „ Um Ihnen die Zeit nach der Knieoperation so schmerzfrei, komfortabel und angenehm wie möglich zu gestalten, verhindern wir in unserer Klinik, die Entstehung der Schmerzen am Ort des Geschehens – nämlich dem Kniegelenk!
Indirektes Zitat aus dem Artikel […] Die kontinuierliche Verabreichung von lokalen Anästhetika über mehrere Stunden oder sogar Tage direkt in das Kniegelenk, zeigte in den Studien, eine hochtoxische Wirkung auf den hyalinen Gelenkknorpel im Kniegelenk [3]. Weiter heißt es: […] „Wobei Bupivacain eine signifikant höhere Toxizität zeigte als Ropivacain und Mepivacain [4].“
Was ich an dieser Stelle nicht unterwähnt lassen möchte, dass alle lokalen Anästhetika natürlich noch andere Nebenwirkungen haben, diese sind jedoch nicht Diskussionsgegenstand dieses Beitrages.
Lokale Anästhetika im OP, was auch passiert, während der Patient schläft
Lokale Anästhetika kommen leider auch zum Einsatz während der Patienten „schläft“. Lokale Schmerzmittel kommen auch im Rahmen von Knieoperationen (vordere oder hintere Kreuzband-OP, Meniskusrissen, Knieteilprothesen usw.) zum Einsatz, sie dienen dort als Schmerztherapie zur Verbesserung der Schmerzkontrolle nach dem Aufwachen aus der Vollnarkose. Auch in meinem OP-Bericht findet sich nach einer vorderen Kreuzbandplastik folgender Auszug:
Dazu findet sich in dem Artikel „Einfluss lokaler Anästhetika auf den hyalinen Gelenkknorpel folgende Anmerkung: „Auch wenn Anzeichen von zytotoxischen Effekten in präklinischen Studien auch bei einmaliger Anwendung von Lokalanästhetikum beschrieben werden, beschreiben Piper et al. diese Assoziation als noch nicht ausreichend bewiesen [5]“.
Dieser Satz beruhigt mich mäßig. Ich hoffe inbrünstig, dass mein eigener Knorpel nicht darunter gelitten hat, zumal es viele solcher Injektionen im Laufe meines Knie-Marathons während Knieoperationen gab – ohne das mich jemand auf die möglichen Risiken einer Knorpelschädigung hingewiesen hat. Wer jetzt schon panisch seinen letzten OP-Bericht heraussucht, sollte lieber folgenden Abschnitt überspringen.
Unerwünschte „Killertruppe“ bei Knorpeltransplantationen im Kniegelenk
Wie schon erwähnt, der negative (toxische) Einfluss lokaler Anästhetika auf den hyalinen Gelenkknorpel findet sich sozusagen in jeder Literatur-Studie – egal, ob gesunder oder vorgeschädigter Knorpel. Im Artikel heißt es: „denn es zeigte sich auch, dass oberflächlich verletzter Knorpel anfälliger auf die Wirkstoffe reagiert als eine gesunde Knorpelschicht [6].
Klingt irgendwie logisch, dass ein verschlissener oder degenerierter Knorpel aber natürlich auch „frisch“ transplantierte Knorpelzellen anfälliger für diese Wirkstoffe sind, als ein gesunder Knorpel im Kniegelenk – weil deren Oberflächenschutz (Versiegelung der äußeren Knorpelschicht) entweder rissig ist oder gänzlich fehlt.
Die Autoren des Artikels verweisen ausdrücklich darauf, dass diese lokalen Anästhetika bei autologen Knorpelzelltransplantationen (AMIC, MAST & Co.) und Mikrofrakturierung (MIC) des Knorpelgewebes zukünftig nicht mehr zum Einsatz kommen sollen [7]. Konsequenterweise empfehlen sie keinen Einsatz von Lokalanästhetika in der Frühphase nach Knorpelzelltransplantationen [8] – man höre und staune in der Frühphase!
Wichtig ist mir an dieser Stelle zu erwähnen, dass viele dieser Studien an Zellkulturen oder im Tierversuch entstanden sind. Die 1:1 Übertragbarkeit ist damit eingeschränkt (Stichwort: Multikausalität). Dennoch gibt es auch sogenannte Case-Reports, in denen Patienten mit ehemals gesunden Knorpelschichten, nach einmaliger Schmerz-Spritze, ihren Knorpelschicht zerstörten.
Fazit bei dem Gebrauch von Spritzen gegen Schmerzen im Knie
- Intraartikuläre kontinuierliche Verabreichung von Lokalanästhetika wirken sich negativ auf den Knorpel im Knie aus (Chondrolyse) – Je länger und in höherer Konzentration, desto massivere Schädigung des Knorpels [9].
- Geschädigte Knorpelzellen treten bei allen Lokalanästhetika (Bupivacain, Mepivacain, Ropivacain) auf, wobei die Zellschädigung bei Ropivacain noch am geringsten ausfällt. Am stärksten bei Bupivacain, dort tritt teilweise ein 99% Zelltod ein, ohne Tendenz zur Regeneration bei einem Zeitintervall von einer Woche [10].
- Lokalanästhetika schaden einem „verschlissenen“ oder degenerierten Knorpel mehr, als an einer gesunden Knorpelschicht [11].
Daraus folgen für die Autoren folgende Vorsichtsmaßnahmen im Rahmen der ärztlichen Praxis [12]:
- Keine Verwendung von Pumpsystemen mit lokalen Anästhetika innerhalb der Kniegelenkkapsel oder direkt in die Kniegelenkshöhle.
- Keine Einspritzung von lokalen Anästhetika nach einer „frischen“ Knorpelzelltransplantation oder Mikrofrakturierung im Kniegelenk (Frühphase) – wobei ich persönlich, gänzlich darauf verzichten würde.
- Eine Knorpelzellschädigung bei einmaliger intraartikulären Verabreichung eines Lokalanästhetikums ist wissenschaftlich nicht bewiesen, sollte aber nicht leichtfertig eingesetzt werden.
Mein letzter Tipp: Ab jetzt immer nachfragen, was genau die Inhaltsstoffe bei den Spritzen gegen Schmerzen im Knie sind und sich trauen beim Fit-Spritzen, „NEIN zu sagen!
Quelle:
[3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10] P. Angele, J. Zellner (2016) Einfluss lokaler Anästhetika auf den hyalinen Gelenkknorpel. Arthroskopie 2016 29:82–88, Springer-Verlag Berlin Heidelberg
[13] Buchko JZ, Gurney-Dunlop T, Shin JJ (2015) Knee chondrolysis by infusion of bupivacaine with epinephrine through an intra-articular pain pump catheter afterarthroscopic ACL reconstruction. AmJSportsMed43(2):337–344
[14] Dickerson DM, Apfelbaum JL (2014) Local anaesthetic systemic toxicity. Aesthet Surg J 34(7):1111–1119