Die vordere Kreuzbandruptur ist eine gravierende Sportverletzung im Kniegelenk. Sie tritt bevorzugt beim Fußball oder beim alpinen Skilauf auf. Für den Sportler steht nach einer vorderen Kreuzbandruptur viel auf dem Spiel. Jeder Patient möchte für sich das beste Operationsergebnis und sucht vorab nach Informationen. Die Ärzte preisen verschiedene OP-Techniken bei einem Kreuzbandriss an – doch was ist die beste Behandlung für mich als einzelner Patient? Die Artikelserie „Personalisierte Medizin in der Kreuzbandchirurgie“ gibt Antworten.
Im ersten Teil werden die verschiedenen Bündeltechniken bei einer Kreuzbandruptur unter dem Gesichtspunkt der personalisierten Medizin vorgestellt. Der zweite Artikel diskutiert die vordere Kreuzbandruptur und die Transplantatwahl im Lichte der individuellen Medizin.
Personalisierte Medizin bei vorderer Kreuzbandruptur
Das Credo der individualisierten- oder personalisierten Medizin lautet: Was gut für Herr Mayer ist, muss nicht zwangsläufig auch für Frau Müller passen.
Der Trend der personalisierten Medizin setzt sich nun verstärkt in der Kreuzbandchirurgie durch. Der Einsatz von individuellen Behandlungskonzepten ist das Ziel nach Rupturen des vorderen Kreuzbandes.
In der Vergangenheit wurden größtenteils die Vor- und Nachteile verschiedener Operationstechniken für die Kreuzbandplastik diskutiert. Hauptsächlich ging es um folgende Möglichkeiten der Behandlung: Einbündeltechnik vs. Doppelbündeltechnik und Patellarsehne vs. Semitendinosus-Sehne (auch Halbsehnenmuskel oder „Semi-Sehne“).
Der Patient mit seinen unterschiedlichen Ansprüchen bezüglich seines Kniegelenks stand nicht im Fokus der Aufmerksamkeit. Neuste Kreuzband OP-Techniken wurden für „Männlein“ wie „Weiblein“ gleichermaßen eingesetzt. Dicke und dünne Menschen, sportlich oder unsportlich wurden mit den geleichen OP-Methoden versorgt. Ältere Menschen wurden gar nicht mehr operiert, egal wie aktiv sie waren. Die Kehrtwende trat vor einigen Jahren unter dem Stichwort der personalisierten Medizin ein.
Mediziner werden heutzutage einer heterogenen Patientengruppe konfrontiert. Die Patienten unterscheiden sich neben ihren Begleitverletzungen vor allem in ihren körperlichen Voraussetzungen und persönlichen Bedürfnissen.
Körperliche Aktivität, Zukunftspläne und sportliche Ziele sind nicht mehr altersabhängig. Opa und Enkel laufen gleichermaßen einen Marathon – warum soll nur der Enkel das Anrecht auf ein stabiles Knie haben?
Diese gesellschaftlichen Veränderungen erfordern ein Umdenken in der Kreuzbandchirurgie. Die Operateure müssen stärker als jemals zuvor, folgende Faktoren bei der Versorgung einer vorderen Kreuzbandruptur berücksichtigen:
- Geschlecht
- Alter: Kinder, Erwachsene und Senioren
- Aktivitätsniveau: Leistungssport versus. freizeitorientierte Bewegung
- Sport: High Impact versus Low-Impact Sport (Fußball vs. Radfahren)
- Körpergröße und Körpergewicht
- Beruf und körperliche Beanspruchung im Alltag
- Religiöse Gewohnheiten
- Anzahl der Revisionen – Erster Kreuzbandriss versus Re-Ruptur Kreuzband.
- Zeitfaktor: Sofortoperation vs. Abwarten.
- Zukunftspläne und Zusatzerkrankungen
- Compliance: Mitarbeit und Kooperation des Patienten bei einer medizinischen Behandlung.
Die Herausforderung für den Kniechirurgen besteht darin, die geeignete Operationstechnik für den einzelnen Patienten zu finden. Dies setzt voraus, dass der Operateur verschiedene Operationstechniken für eine vordere Kreuzbandruptur beherrscht und sie mit den individuellen Gegebenheiten kombiniert. Diese Leistung setzt eine sorgfältige Anamnese voraus und macht für mich einen verantwortungsvollen Operateur aus.
Vordere Kreuzbandruptur maßgeschneidert
Es existieren verschiedene Operationsstrategien bei einer vorderen Kreuzbandruptur – genauso wie unterschiedliche Arten von vorderen Kreuzbandrissen (z.B., partieller Kreuzbandriss oder Totalabriss) gibt. Die Operationstechniken unterscheiden sich in mehreren Faktoren und finden in unterschiedlicher Variation Anwendung:
- Transplantatwahl: Patellarsehne, Beugesehnen (engl. Hamstring), Quadrizepssehne, Allograft (Spendersehne)
- Bündeltechnik: Anzahl und Stärke der Bündel
- Fixationsmethode: Schraubenart, Schraubenmaterial , all-inside“-Technik u.a.
- Bohrtechnik: Anlage der Bohrkanäle im Kniegelenk.
Einbündel oder Doppelbündel bei einer Kreuzbandruptur
Das vordere Kreuzband ist nicht einfach eine Schnur oder ein gespanntes Seil, sondern eine komplexe, in sich verdrehte Faserbündelstruktur mit sensiblen Nervenansätzen.
Das Operationsergebnis steht und fällt mit einer möglichst identischen Rekonstruktion des ehemaligen Kreuzbandes in seiner Position und in seiner Faserbündelstruktur. Die Nervenstruktur kann in der Knieoperation nicht nachgeahmt werden.
Single-Bundle-Technique nach vorderer Kreuzbandruptur
Derzeit stellt die anatomische Einzelbündel-Rekonstruktion noch den “State of The Art” in der Kreuzbandchirurgie dar. Hierfür können Beugesehnen, Patellarsehnen oder Quadrizepssehnen verwendet werden [1]. Bei dieser OP werden zwei Bohrkanäle jeweils im Ober- und im Unterschenkel angelegt und ein Sehnentransplantat als Kreuzbandersatz verwendet.
Double-Bundle-Technique bei der Kreuzbandruptur
Bei der Doppelbündeltechnik werden zwei Bohrkanäle an Ober- und Unterschenkel gebohrt, in denen zwei Sehnentransplantate als zwei getrennte Bündel (anteriomedial und posterolateral) befestigt werden. Insgesamt bohrt der Kniechirurg also vier Kanäle in den Knochen. Diese Kreuzband OP-Technik stellt vom medizinischen Standpunkt aus, eine Weiterentwicklung der Einbündel-Methode dar. Da sie dem ursprünglichem gesunden Kreuzband am nächsten kommt.
Zu diesem Konzept der Doppelbündel Technik zählt auch der teilweise Bündelersatz (AM- oder PM-Bündel) bei einer Partialruptur oder die „Remnant-Augmentation“.
Bei der Kreuzband OP keine Medizin von der Stange
Unter dem Gesichtspunkt der personalisierten Medizin ist die Größe des Kniegelenks ein entscheidender Faktor, welche Behandlung für den Patienten in Frage kommt.
Das bedeutet, dass eine kleine zierliche Frau eher von der Einbündel-Technik profitiert, da ihr Kniegelenk für eine Doppelbündel-Methode zu klein ist. Es fehlt an Fläche für die optimale Platzierung von vier Bohrkanälen und es geht dabei zu viel Knochenmasse verloren.
Hingegen bringt ein großer kräftiger Mann, die Voraussetzungen für die Anwendung einer Doppelmündel-Technik mit. Sein Kniegelenk ist groß genug, um die optimale Anlage von vier Bohrkanälen zu gewährleisten. Im Idealfall vermisst der Operateur intraoperativ das Kniegelenk und entscheidet entsprechend dem Wohl des individuellen Patienten.
Weiter profitieren von der Doppelbündel-Technik aktive Freizeit- und Profisportler mit großen Kniegelenken, die viel Sprint, Sprung- und Drehbewegungen ausführen. Beruflich stark körperlich arbeitende Personen sowie muskulär kräftige und schwere Patienten haben ebenfalls einen Vorteil von dieser Bündel-Technik [2]. Alle anderen und insbesondere Frauen sollten die die Doppelbündel-Technik im Vorgespräch mit ihrem Operateur hinterfragen. Denn auch Revisionsoperationen sind bei vier geweiteten Bohrkanälen problematischer als bei zwei Tunnel im Knie.
Werden die Studien unter dem Gesichtspunkt des individuellen Einsatzes ausgewertet, zeigen sich keine statistisch relevanten Unterschied hinsichtlich der empfundenen Kniestabilität bei den Patienten. [3]
Im Sinne der personalisierten Medizin lautet das Fazit: Vordere Kreuzbandruptur bei kleinen Kniegelenken eher mit der Einbündel-Technik operieren. Große und stark belastete Knie eher mit der Doppelbündeltechnik. Die Einbündel-Technik hat bei einer Kreuzband Re-Ruptur den Vorteil, dass weniger (geweitete) Bohrlöcher aufgefüllt werden müssen.
Personalisierte Medizin in der Transplantatwahl – Semitendinosus vs. Patellarsehne nach einer Kreuzbandruptur.
Quelle:
[1, 3] Petersen W., Verschiedene Benedetto K.P Techniken zur Ersatzplastik des vorderen Kreuzbands. Arthroskopie 2013/1: 6. Springer-Verlag Berlin Heidelberg (2013).
[2]. Siebold R. Indications for Single- and double bundle ACL reconstruction based on the concept of complete footprint reconstruction. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc. 2011.