Vordere Kreuzbandplastik – Umbauprozess einer toten Sehne zum Band

By Katrin Glunk

September 8, 2014


Das Kreuzband gerissen bedeutet einen langwierigen Heilungsprozess für den Patienten. Nach einer vorderen Kreuzband-OP unterliegt das Kreuzbandtransplantat einem körpereigenen Umbauprozess. Im etwa einjährigen Heilungsverlauf kommt es zu drastischen Veränderungen im vorderen Kreuzband-Transplantat (VKB). Die mechanische Stabilität ist phasenweise deutlich herabgesetzt und die Reißfestigkeit der Kreuzbandplastik schwankt im Heilungsverlauf erheblich.

Doch von diesen Umbauvorgängen im Knie bekommen die Patienten kaum etwas mit. Darin steckt die eigentliche Gefahr für die operierten Patienten – Überschätzungen und die allzu schnelle Rückkehr zum Sport nach einem Kreuzbandriss sind die Folgen.

Struktur und Anatomie Kreuzband

Die Kreuzbänder bestehen aus straffen, kollagenen Faserzügen. Diese Faserbündel liegen parallel zueinander und sind locker durch Bindegewebe miteinander verbunden. Am Knochenansatz verändern die Kreuzbänder ihre Faseranordnung in Richtung der Knochenhaut (Periost).

Rein anatomisch liegen die Kreuzbänder nicht direkt im Kniegelenk, sondern außerhalb der Kniegelenkflächen. Dies begründet sich dadurch, dass die Kreuzbänder (vorderes und hinteres Kreuzband) durch den Gelenkschleimhautsack (Synovialsack) zu den Gelenkflächen hin abgegrenzt sind. Dieser Synovialschlauch umschließt mit seiner Außenseite die vorderen und seitlichen Anteile der Kreuzbänder und ist mit Blutgefäßen durchzogen.

Die direkte Blutversorgung des Knies entspringt gegenüber der Rückseite des Kniegelenks aus der Arteria poplitea. Die Arterie durchstößt das Kniekehlenband und versorgt dadurch die Synovia, sowie die im Gelenkraum liegenden Strukturen des Kniegelenks (z.B. Menisken, Kreuzbänder).

Heilung nach Kreuzbandriss-OP

Die Entnahme der Spendersehne (als Semitendinosus- und Gracilissehne oder Patellarsehne) beinhaltet die plötzliche Durchtrennung der Blutgefäße und Nervenstränge während der Kreuzband-OP. Dem zukünftigen Kreuzbandersatz fehlen damit die Ernährung und die Nervenverbindungen. Beides sind Voraussetzungen für die volle Funktionsfähigkeit der Kreuzbandplastik. Deshalb startet der Körper sein individuelles Genesungsprogramm – Der fantastische Umbauprozess von der Sehnen- zur Bandstruktur.

Heilungsverlauf nach gerissenem vorderem Kreuzband

Zunächst muss die entnommene Sehne in die Knochen (Ober- und Unterschenkel) einwachsen. Deshalb ist etwa bis zur 3. Woche der Kreuzbandriss Reha nur eine Teilbelastung erlaubt. Denn in den ersten vier bis sechs Wochen nach einer Kreuzbandriss-OP ist nicht die transplantierte Sehne(n), sondern die Fixierung in Tibia oder Femur das schwächste Glied in der Kette. Die Gefahr, dass die Fixierung bzw. Verankerung des Kreuzband-Transplantates nicht hält, ist viel größer als das Reißen der operierten Sehne.

Oftmals limitieren die Kniechirurgen das Bewegungsausmaß und verordnen zum Schutz der Kreuzbandplastik eine Knieorthese. Andere Operateure verzichten komplett darauf und geben die Bewegung nach einem Kreuzbandriss-OP frei. Beides funktioniert! Der Patient sollte sich an die vorgegebene Kreuzbandriss Nachbehandlung halten. Es existieren intraoperativ verschiedene OP-Techniken und Fixationsmöglichkeiten. Zudem wachsen die transplantierten Sehnen (Patellarsehne, Semitendinosus, Quadrizepssehne oder Allograft) unterschiedlich schnell ein. Nach dem Einheilen der Kreuzbandplastik in den Knochen, erkennt der Körper die „verkehrte“ Welt und beginnt mit dem eigentlichen Umbauprozess. Der Titel lautet: Von der entnommenen Sehne zum funktionalen Kreuzband. Dieser Heilungsprozess nennt sich Ligamentisation – oder Remodeling-Prozess und dauert etwa ein Jahr.

Phase 1: Avaskulär (0. bis 6. Woche post OP)

Vordere Kreuzbandplastik vor dem Umbauprozess
Vordere Kreuzbandplastik vor dem Umbauprozess | Foto: knie-marathon.de

Ca.vier bis sechs Wochen nach der Kreuzbandriss-OP beginnt der strukturelle Umbauprozess im Sehnentransplantat. Bis dahin bleibt die ursprüngliche Sehne in ihrer histologischen Struktur nahezu erhalten und ist relativ reißfest. Die Problematik für den Patienten liegt vor allem darin, dass die Sehne noch nicht vollständig in den Bohrlöchern eingewachsen ist. In dieser Kreuzbandriss Reha Phase möglichst wenig Belastung und Zug bei den Knieübungen auf die Kreuzbandplastik ausüben.

Phase 2: Initiale Phase (6. Woche bis 3. Monat post OP)

Das in den Ober- und Unterschenkelknochen fixierte Sehnentransplantat braucht in der Regel vier bis acht Wochen bis es dort eingewachsen ist. Das eingewachsene Transplantat dient als Leitstruktur für körpereigene Zellen, um ein neues vorderes Kreuzband in seiner Struktur aufzubauen. Das unversorgte Sehnentransplantat durchläuft eine Phase der Nekrose (Absterben) und Abbau des kollagenen Bindegewebes. Dabei wird die transplantierte Sehne Stück für Stück wieder durch gefäßreiches Granulationsgewebe (Aufbau) ersetzt. In dieser Phase verliert das Gewebe seine ehemals straffe Organisation und damit seine Reißfestigkeit. Zwischen der sechsten und zwölften Woche post OP ist die Kreuzbandplastik am schwächsten. Etwa acht Wochen nach der Kreuzbandersatz-OP lässt sich biomechanisch die geringste Zugfestigkeit und Elastizität der vorderen Kreuzbandplastik feststellen. Die Reißfestigkeit des Kreuzbandersatzes liegt dabei erheblich unter dem Ausgangsniveau direkt nach der Knie-OP. Das ist genau der Zeitraum, ab dem sich viele Patienten deutlich leistungsfähiger fühlen und wieder Sport treiben!

Phase 3: Revitalisierungsphase (4. bis 6. Monat post OP)

Vordere Kreuzbandplastik nach dem Umbauprozess
Vordere Kreuzbandplastik nach dem Umbauprozess | Foto: knie-marathon.de

Nach etwa vier Wochen wachsen Kollagenfasern von der Transplantatseite in Richtung Knochen ein. Dieser Umwandlungsprozess verstärkt sich mit der Zeit und hält etwa sechs Monate an. Während diesen biologischen Umbauvorgängen sollte weiterhin keine allzu starke Belastung auf das Transplantat ausgeübt werden. Das betrifft vor allem auch die Beugung. Denn der Körper baut das Bindegewebe zunächst „ungerichtet“ (ohne organisierte bzw. straffe Struktur) auf und muss im Laufe der Zeit erst eine feste Richtung ausbilden. Dies gewährleistet die ausreichende Straffheit des Transplantates und damit die Kniestabiltität. Ansonsten besteht die Gefahr für eine Elongation oder „Ausleierung“ des Kreuzbandes.

Diese Phase ist zusätzlich durch eine voranschreitende Revaskularisierung (Einsprossung von Blutgefäßen) charakterisiert. Spätestens nach etwa drei bis vier Monaten bildet sich ein neuer Gelenkschleimhautsack.

Phase 4: Remodeling (bis zu 1 bis 1,5 Jahren post OP)

Der Kreuzbandersatz baut weiter Bindegewebe auf und sortiert sich dabei. Die Kreuzbandplastik gewinnt allmählich an Spannung und gleicht sich im Aussehen und in der Funktionalität an ein „natürliches“ Kreuzband an. Wann letztlich die volle Reißfestigkeit des Kreuzbandes wieder erreicht ist – die Angaben schwanken zwischen 1 und 1,5 Jahre nach der Kreuzbandplastik-OP. Trotzdem die sensomotorische Verschaltung wird nicht mehr, wie sie einmal war. Deshalb sind kreuzbanderhaltende Operationstechniken eine sehr interessante Alternative.

Umbauprozess Kreuzband erfordert lebenslanges Training

Die entnommene Sehne mineralisiert also innerhalb der ersten zwei Jahren nach einer Kreuzbandplastik zu einer „bandartigen“ Struktur. Die Betonung liegt hier auf „bandartig“ und nicht zu einem echten Band, da die Nervenzellen, die ein echtes Band hat nicht nachwachsen. Daher auch die Instabilität im Kniegelenk nach der Kreuzband-OP, da der Körper die Nerven, die zum Gleichgewicht halten da waren, jetzt umgehen muss. Dazu wird die umliegende Beinmuskulatur genutzt, die diese Aufgabe zwangsläufig übernimmt.

Durch Stabilitätsübungen und Gleichgewichtstraining hilft man der Muskulatur sich auf die Aufgabe vorzubereiten. Da diese Nervenzellen nie wieder nachwachsen, sind diese Stabilitätsübungen auch Jahrzehnte später noch anzuraten. Von einem vorderen Kreuzbandriss „erholt“ sich das Kniegelenk in der Funktion eigentlich nie. Ständiges Training ist fortan ratsam. Neuere Studien (2016) zeigen auch, dass sich die Strukturen im Gehirn nach einer operierten Kreuzbandriss verändern, was meiner Meinung nach, die logische Konsequenz aus der veränderten Anatomie im Kniegelenk darstellt.

Knie OP-Video nach Kreuzbandrupturen

In dem Video „Von der Sehne zum neuen Kreuzband“ habe ich meine drei vorderen Kreuzbandriss Operationen über einen Zeitraum von drei Jahren zusammengefasst. Dort ist der Umbauprozess der Kreuzbandplastik optisch nachvollziehbar. Vielleicht hilft diese Zusammenfassung für das eigene Verständnis der gravierenden Knieverletzung.

Neue vordere Kreuzbandplastik verschwindet plötzlich

Es gibt vereinzelt Patienten, die davon berichten dass ihre eingesetzte Kreuzbandplastik plötzlich nicht mehr auf einem Kontroll-MRT zu sehen ist. Das neue Kreuzband verschwindet auf unerklärliche Weise im Laufe eines Jahres. Die Kreuzbandersatzplastik löst sich quasi von alleine auf. Doch was genau ist die Ursache? Darüber gibt es nur Spekulationen und mehrere mögliche Szenarien. Eines steht fest, der menschliche Körper baut vieles ab, was für ihn „fremd“ oder keine (mehr) Funktion hat – z. B., die VKB-Plastik rutscht aus dem Bohrloch. Der eigene Körper arbeitet nach dem Prinzip „Use it or lose it!“ Die rasend schnelle Muskelatrophie in der ersten Woche nach einer Kreuzbandriss-OP demonstriert dieses Prinzip leider hervorragend.

Es scheint, dass bei einem „verschwundenen“ Kreuzband der körpereigene Abbauprozess eine wesentliche Rolle spielt. Es werden mehr Gewebezellen vom Körper ab- als aufgebaut und damit verschwindet die Kreuzbandplastik bzw. Sehne allmählich. Denkbar wäre auch eine Art Abstoßungsreaktion auf die eingepflanzte Sehne. Ein weiterer Erklärungsansatz wäre, dass die betroffenen Patienten einen erneuten Riss der Kreuzbandplastik nicht bemerken. Der Körper baut anschließend die funktionslosen Kreuzbandteile ab; ähnlich wie bei einem nicht operativ versorgten Kreuzbandriss.

Kreuzband gerissen – Auswirkungen auf Kreuzbandriss Reha

Vordere Kreuzbandplastik und Reißfestigkeit der Sehe(n)
Vordere Kreuzbandplastik und Reißfestigkeit der Sehne | Grafik: knie-marathon.de

Die Grafik demonstriert den Umbauprozess von der Sehne zum Kreuzband. Die Zahlen unterliegen individuellen Schwankung und dienen ausschließlich dem Verständnis des Genesungsprozesses und deren Auswirkungen auf eine Kreuzbandriss-Reha.

Die Kreuzbandriss Reha bis zum 2. Monat dient in erster Linie der Reaktivierung der Beinmuskulatur und der Einheilung der Kreuzbandplastik. Wichtig, dass starke Einwirken von Zugkräften auf die Kreuzbandplastik vermeiden und die Kreuzbandriss Reha ausschließlich in der „geschlossenen Kette“ durchführen. Die Reißfestigkeit des Sehnen-Transplantates sagt nichts über die vorhandenen neuronalen Verbindungen und damit über das muskuläre Zusammenspiel aus.

Ab dem dritten Monat ist die neue Kreuzbandplastik in der Regel eingewachsen und ein intensiverer Muskelaufbau wieder möglich. Dennoch sind Knieübungen mit Rotationsbewegungen (auch Brustschwimmen), komplexe Sprünge (vor allem Seitsprünge) und Kniedrehungen zu meiden.

Beim Joggen muss sich der ehemalige Patient im Klaren darüber sein, dass jedes Muskeldefizit direkt auf den Meniskus und den Knorpel, als Pufferzone im Knie „schlägt“. Zudem fehlt es den „ungeübten“ Nervenverbindungen noch an Reaktionsschnelligkeit. Plötzlich Unebenheiten im Gelände beim Laufen ausgleichen sind ebenso anspruchsvoll, wie einen ausgeglichenen Laufstil aufzubauen bei noch bestehenden Muskeldefizit. Nicht umsonst, finden die meisten Revisionsoperationen am Kreuzband finden zwischen dem 3. und 6. Monat statt. Sportmediziner raten dem „normalen“ Patienten von High-Impact-Sportarten (Fußball, Handball u.a.) mindestens ein Jahr lang ab. Bei Allograft (Spendersehnen als Kreuzbandersatz) beträgt die Wartezeit zur Sportrückkehr noch länger. Am Ende der langen Kreuzbandriss Reha Phase steht ein sportartspezifisches Präventionstraining zur Kreuzbandrissprophylaxe.

Über die Autorin

Dipl. Psychologin Katrin Glunk | Personal Coach, Fitness- und Reha-Trainerin.

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