Eine instabile Kniescheibe mit Begleitverletzungen kommt vor allem bei jungen und aktiven Menschen vor. Ursache sind vielfach Sportunfälle – so auch bei Gino, der sich im Alter von 17 Jahren beim Fußball spielen sein rechtes Knie verletzte. Heute 32 Operationen nach seiner ersten Knieverletzung berichtet er von seinem langen Leidensweg mit hilfreichen aber auch unnötigen Knieoperationen. Seine „letzte“ Operation war erst kürzlich, eine MPFL-Plastik zur Beseitigung seiner instabilen Kniescheibe.
Wurde Gino kaputtoperiert oder nimmt seine Knie-Geschichte ein glückliches Ende? Der Artikel stellt im ersten Teil, die Ursachen und Symptome einer Patellaluxationen vor und fasst die Knie-Karriere von Gino zusammen. Gino kann nahezu über jede Art von Knieverletzung und Komplikationen persönlich berichten. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei Gino und wünsche ihm von ganzen Herzen, dass sein Traum vom Kicken eines Tages wieder Realität wird.
Instabile Kniescheibe und Symptome einer Patellainstabilität
Als instabile Kniescheibe (Patella) gilt eine Kniescheibe dann, wenn sie ihre Gleitrinne (Trochlea) im Oberschenkel verlässt. Das Ausmaß einer instabilen Kniescheibe ist sehr unterschiedlich, ein leichtes Abweichen der Patella nach außen bei der Kniebeugung ist normal, sofern sie nicht ihr Gleitlager verlässt. Weicht die Patella teilweise in der Führung ab, sprechen Mediziner von einem Fehlgleiten der Kniescheibe oder einer Teil- bzw. Subluxationen der Patella. Verlässt die Kniescheibe ihre Gleitrinne vollständig (meistens lateral, nach außen) diagnostiziert der Arzt eine Kniescheibenverrenkung (Ausrenken der Kniescheibe) bzw. eine Kniescheibenluxation.
Ursache einer Kniescheibenluxation
Eine instabile Kniescheibe oder Patellasubluxation hat in der Regel folgende Hauptursachen:
- Angeborene und habituelle Fehlformung des Kniescheibengleitlagers (Trochela-Dysplasie, Patella alta u.a.), bei lockerem Kapselbandapparat (tanzende Patella oder lockere Kniescheibe) oder bei einen muskulärem Ungleichgewicht (starke muskuläre Dysplasie).
In allen Fällen springt die Kniescheibe bei einer abrupten Bewegung aus ihrem Gleitlager heraus. Besonders weibliche Jugendliche sind von einer angeborenen Dysplasie (zu flache Gleitrinne) betroffen, begünstigt wird diese Fehlstellung noch durch X-Beine.
Zudem kann eine Fehlbildung der Kniescheibe (eher flach, als keilförmig) die Wanderung der Patella entlang der Trochea beeinflussen, was auch zur Luxation der Patella führt.
Die letzte angeborene Ursache beschreibt ein bestehendes Ungleichgewicht der Haltebänder der Kniescheibe. Entweder sind die Bänder der Knieaußenseite zu straff (laterales Retinakulum) oder die Innenseite ist betroffen.
- Die instabile Kniescheibe ist Folge eines Unfalls (Trauma). Durch Verdrehen oder einen starken Aufprall zerreißen die Haltebänder (engl. Ligament) der Patella und die Kniescheibe springt aus ihrem Gleitlager. In der Regel springt die Kniescheibe nach außen, so dass die Haltebänder der Knieinnenseite zerfetzt werden. Hauptsächlich betroffen das mediale patellofemorale Ligament (MPFL). Das MPFL liegt zwischen der Kniescheibe und dem Oberschenkelknochen (Femur) – ein kräftiger Sehnenzug im Bereich des innenseitigen Bandapparates.
Die funktionelle Anatomie des Kniescheibenlagers ist für das Verständnis der Kniescheibeninstabilität und damit auch für die Wahl einer anstehenden MPFL-Therapie entscheidend. Vereinfacht dargestellt liegt die Kniescheibe in der vollen Streckung etwas außerhalb ihres Gleitlagers und wird dadurch nicht, wie in der Kniebeugung knöchern, sondern über Bandapparat, Muskulatur und Weichteile geführt. Das MPFL verhindert, dass die Kniescheibe nahe der Kniestreckung, aus dem Gleitlager nach außen heraus springt. Das MPFL ist etwa 5-6 cm lang und trägt mehr als die Hälfte der Zugfestigkeit der inneren parapatellaren Weichteilstrukturen [1]. Das Halteband-MPFL (medialen patellofemoralen Ligament) ist zusammen mit dem vierköpfige Oberschenkelmuskel (M. Quadriceps), als dynamischer Stabilisator, für die Stabilität der Kniescheibe verantwortlich.
Ebenso wichtig, bei Problemen mit der einer luxierten Knieschiebe, ist der Ausschluss weiterer Begleitverletzungen (z. B., Gelenkblockaden durch freie Gelenkkörper bzw. osteochondrale Flakes) oder ein vorderer Kreuzbandriss (Kreuzbandruptur) speziell als Ursache für die Kniescheibenluxation.
Du willst mehr über die luxierte Kniescheibe wissen, dann höre ich diese Podcast-Folge rein: Patellaluxation OP – Was tun, wenn die Kniescheibe verrutscht
Vom Routineeingriff zum Fußballinvaliden – Gino (1)
Die Knie-Geschichte von Gino (17 Jahre) beginnt im Mai 1990. Ein hartumkämpftes A-Jugendspiel in der Bezirksliga, in welchem sich die Meisterschaft entscheiden sollte, wurde ihm zum Verhängnis. Der Gegner unterbrach seinen Sprint – ein schweres Foul, Gino flog an der Seitenlinie und schlug mit seinem rechten Knie auf die Seitenbarriere des Spielfeldes auf.
Das Knie wurde während des Spiels mit Eis gekühlt und Gino spielte danach weiter. Aus heutiger Sicht ein Fehler. Denn einen Tag später wies ihn sein Orthopäde in ein Krankenhaus ein, da seine Kniescheibe in Mitleidenschaft gezogen war.
9 Tage später erfolgte Ginos erste Knieoperation. Ein laterales Release mit Vastusmedialis-Transfer. Bei einem lateralen Release werden die stabilisierenden Bänder der Knieaußenseite (lateral) getrennt (release), wodurch sich die Kniescheibe zur Innenseite verlagert. Aus heutiger Sicht ist diese Operationstechnik mit einem Vastusmedialis-Transfer nicht nachvollziehbar. Nach der Knieoperation litt Gino an einem großen Hämatom (Bluterguss) im Kniegelenk. Vier Tage nach der lateralen Release-OP, räumte der Oberarzt etwas voreilig, das Hämatom in einer weiteren Knieoperation aus. Es folgten acht Monate Knierehabilitation.
Die drei folgenden Jahre spielte Gino, nicht beschwerdefrei, aber immerhin weiter Fußball. Vermutlich waren die anhaltenden vorderen Kniebeschwerden, die Ursache für eine erneute Knieoperation in Form einer Knorpelglättung – eine weitere fragliche Entscheidung.
Ein Jahr später (1994) wurde Gino wiederum bei Fußball gefoult. Ein stumpfes Trauma im Oberschenkel war die Folge. Bei Gino kam es zur Eröffnung bzw. Lückenbildung im Bereich der Faszien (Fazienläsion oder Fazienlücke) – wieder eine schwerwiegende Verletzung diesmal am Oberschenkel.
Bei einer Faszienlücke tritt die Muskulatur im Oberschenkel ohne Kontraktion durch die offene Stelle hervor. Diese Fazienlücke wurde bei Gino operativ verschlossen. Keine 24 Stunden später kam es zu Komplikationen. Heftige Nachblutungen im Bein, die Blutungen mussten operativ behandelt werden – Gino lag wieder auf dem OP-Tisch. Keiner der behandelnden Ärzte hinterfragte zu diesem Zeitpunkt, die aktuell auftretende Nachblutungen und die der Jahre 1990 und 1993.
Nach fünf Monaten Fußball Pause und intensiven Muskelaufbau bekam Gino „grünes Licht“ für den Wiedereinstieg im Ballsport. Im Winter 1995 trat Gino endlich wieder den Fußball.
Scheinbar ein Happy End nach vier Operationen am Knie.
Symptome einer Knieschiebenluxation
Kommt es durch einen Unfall zu einer vollständigen Kniescheibenverrenkung, zerreißen Teile der Bänder, der Kniegelenkskapsel oder auch Teile des Knorpels werden beschädigt. Ebenso kann die Patella brechen. Das Kniegelenk schwillt schmerzhaft an und ist kaum bewegbar. Rutscht die Patella nicht spontan zurück, ist aufgrund der ausgeprägten Schmerzen sofortiges Handeln angesagt.
Bei der angeborenen Patellaluxation gleitet die Kniescheibe häufiger in das Gleitlager zurück. In Folge bildet sich nach einiger Zeit ein Bluterguss (Hämatom) im Bereich der Kniescheibe. Das vollständige Herausspringen mit Repositionierung der Patella führt zu einem instabilen Kniegelenk. Unbehandelt kommt es bei häufigen wiederkehrenden, nur leichten Verschiebungen (Subluxation der Patella) zu stechenden Schmerzen hinter der Kniescheibe. Ebenso sind Schmerzen an der Vorderseite des Kniegelenks (vorderer Knieschmerz oder femoro patellares Schmerzsyndrom) besonders beim Treppensteigen, langem Sitzen mit gebeugten Beinen möglich.
Eine instabile Kniescheibe kann auch bei bestimmten Kniebewegungen oder wechselnden Belastungssituationen zu einem plötzlichen Wegknicken des Kniegelenks führen, dem Giving-away-Phänomen. In diesem Fall impliziert der fehlende Reflex einen Verlust der Muskelanspannung im Oberschenkel. Es fällt dem Patienten schwer, dass Kniegelenk in der gestreckten Position zu halten, das Knie „sackt weg“ oder gibt nach (giving-away), was wiederum in dieser Position ein Ausrenken der Patella begünstigt.
Der nächste Artikel beschäftigt sich mit der Untersuchung einer instabilen Kniescheibe, der Diagnostik von Kniescheibenluxationen und den operativen Möglichkeiten (MPFL-Plastik oder MPFL-Ersatz) am Beispiel von Gino und seinen weiteren 27 Knieoperationen.
Quelle:
[1] Desio SM, Burk1s RT, Bachus KN: Soft tissue restrains to the lateral patellar translation of the human knee. Am J Sports Medicine 1998, 26:59-65