Regeneration und effektiver Muskelaufbau sind die Erfolgsfaktoren nach einer Kreuzbandriss-OP – in diesem Punkt herrscht Konsens in der medizinischen Fachwelt. Gibt es auch psychologische Vorgänge, die eine Rolle in der Kreuzband-Reha spielen? Wie beeinflussen mentale Zustände die Erfolgsgaranten in der Kreuzbandriss Reha? Der Artikel beschreibt die psychologischen Zusammenhänge und setzt sie in den Kontext der Regeneration.
Regeneration nach Kreuzbandriss-OP
Regeneration sind alle Prozesse, die zur Wiederherstellung eines körperlichen Gleichgewichtszustandes führen. Sie stehen immer in Bezug zu einer vorausgehenden Belastung oder Verletzung und haben (wieder-)versorgende Funktion. Der benötigte Zeitraum für eine Regeneration steht in Abhängigkeit zum Grad der Belastung und dem Trainingslevel des Betroffenen.
Für das Muskelaufbautraining nach einem Kreuzbandriss sind regelmäßig Phasen gezielter Regeneration eine wichtige Voraussetzung. Ohne ausreichende Erholungsphasen bringt das Training wenig – im Extremfall schadet eine zu intensive Knie-Reha sogar. Als Hauptregenerationsphase gilt der Schlaf – aber auch das Ausüben von Entspannungstechniken und die Seele „baumeln“ lassen.
Heilungsprinzip nach Gewebe- und Muskelverletzungen
Eine Muskel- und Gewebeverletzung induziert starke Veränderungen in den Körperzellen und der extrazellulären Matrix. Die Muskelregeneration nach Knieverletzungen weist große Ähnlichkeiten mit dem Aufbau von Muskeln während der Embryonalentwicklung auf. Sie scheint nach dem gleichen Prinzip abzulaufen. Grob dargestellt läuft die Muskelregeneration in voneinander abhängigen Phasen ab.
5 Phasen der Muskelregeneration nach Kreuzband-OP
Die Abbildung zeigt die fünf Phasen der Muskelregeneration beim Menschen. Das Absterben der Muskelfasern nach der Kreuzbandersatz-OP aktiviert einen vorübergehenden Entzündungsprozess. Diese Entzündung sorgt dafür, dass die abgestorbenen Muskelfasern abtransportiert werden. Nach der Entzündungsphase folgt die Phase der Regeneration. Die Muskelneubildung kennzeichnet eine hohe Aktivität der Stamm- und Muskelzellen. Sie dringen in die Muskelfasern eine und ersetzen die zerstörten Muskelzellen. In der sich anschließenden Umbauphase folgen der Formaufbau, Zugfestigkeit des Gewebes (extrazelluläre Matrix) und die Gefäßneubildung. Der Muskelaufbau findet seinen Abschluss in der Ausbildung von neuen Nervenzellen.
Auswirkung auf die Kreuzbandriss-Reha
Das Verständnis dieser fünf Phasen gibt Hinweise für die Kreuzbandriss-Reha im Alltag und im Training:
- Entzündung im Kniegelenk ist wichtig (heißes oder warmes Knie) – Knie nur kurz kühlen.
- Regeneration findet vor allem nachts statt – ausreichend Schlafen während der Reha.
- Neu gebildete Muskelfasern sind „dumm“ – Sie müssen durch intensives Training in ihre Funktion eingewiesen werden.
Intensität von Muskeltraining nach Sportunfall
Fast jeder Kniepatient steht vor der Frage: Was ist die richtige Dosis für mein Knietraining? Gibt es ein Zuviel des Guten oder auch ein Zuwenig? Wie Betroffene ihre Knieverletzung interpretieren und ihr Rehabilitationsverhalten gestalten, hängt auch mit ihrem persönlichen Bewältigungsstil (Coping-Stil) zusammen.
Psychologische Bewältigungsstile nach Knieverletzungen
Im Kontakt mit vielen Reha-Patienten fallen mir immer wieder unterschiedliche „Reha-Typen“ auf. Die Typen unterscheiden sich im Umgang mit ihrer Knieverletzung und im Reha-Verhalten (auch Regeneration) ganz erheblich:
- Verleugnender Typ: Er äußert sich in einem abwehrenden Umgang mit Schmerzen, Unbehagen, Warnsignale und Hinweisen. Sein Prinzip lautet: „Der Körper muss funktionierten, und das bitte schnell!“ Der zielführende Kontext bei diesem Typus besteht in einer ausgeprägten Motivation und dem Ehrgeiz vorwärts zu kommen – es gibt nur den einen Weg.
- Zupackender Typ: Dieser Typus kennzeichnet ein aktiver und gleichzeitig zupackender Bewältigungsstil. Der Betroffene sieht in seiner Knieverletzung eine bewältigbare Herausforderung. Der Betroffene ist über seine Knieverletzung informiert und setzt sich lösungsorientiert (nicht problemorientiert!) mit ihr auseinander. Der zielführende Kontext für diesen Typus besteht darin, dass er nicht aufgibt. Er sucht und findet Möglichkeiten sein Leben und die Rehabilitation selbst zu gestalten. Der Typus achtet darauf, dass er die Knieverletzung und ihre Auswirkung auf sein Leben beherrscht und nicht umgekehrt. Sein Prinzip lautet: „Dem Körper geben, was er braucht!“
- Sinnsuchender Typ: Dieser Bewältigungsstil zeichnet sich durch Grübeln und die Suche nach einem Sinn, einem Inhalt, der „Botschaft“ der Knieverletzung aus. Sein Prinzip lautet: „Mein Körper möchte mir, etwas sagen!“ Der zielführende Kontext in diesem Typus liegt darin, die Knieverletzung als Krise zu begreifen, um den bisherigen Lebensstil und das bisherige Selbstverständnis zu hinterfragen. Damit verbunden ist die Bereitschaft, gegebenenfalls seine bisherige Lebenssicht und Lebensweise (auch Sport) zu ändern – was der „verleugnende Typ“ nicht tun würde. Der destruktive Part dieses Bewältigungsstils besteht in der Gefahr, im Grübeln und in der Resignation zu verharren – besonders dann, wenn sich die Knieverletzung längere Zeit hinzieht oder Komplikationen nach der OP auftreten.
Einfache Formel für die Knie-Rehabilitation
Verbesserte Leistungsfähigkeit = Knietraining + Erholung (Regeneration) + Ernährung
Der Weg zu mehr Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit besteht in der Kombination aus effektivem Knietraining und Regeneration. Muskelwachstum und Heilung findet in Ruhe statt – Stress verhindert den Aufbau von Muskeln und verzögert die Genesung. Eine gesunde (eiweißreiche) Ernährung unterstützt den Muskelaufbau und die Regeneration.
Knie Coaching – dem Körper geben, was er braucht
Für mich stecken in der Kreuzbandriss-Reha (inklusive Regeneration) drei weitere psychische Faktoren:
Wahrnehmen – Interpretieren und reagieren klingt zunächst banal – doch die Unterschiede im Reha-Verhalten sind enorm.
Allein im Wahrnehmungsprozess unterschieden sich die Bewältigungstypen: Typ 1 handelt nach dem Motto: „Alles was einem nicht umbringt, macht einem härter“ – folglich trainiert er ohne Rücksicht auf seinen körperlichen Zustand – wenn er Pech hat, zwingt das operierte Kniegelenk den Typen in die „Knie“.
Typ 2 und Typ 3 sind in diesem Punkt sensibler. Der Typen-Unterschied liegt in der Interpretation der Situation. Während Typ 2 reagiert und sein Training sowie die Regeneration anpasst, fällt es Typ 3 schwerer eine angemessene Reaktion zu finden. Er verharrt vielmehr im Grübeln, interpretiert die Kniebeschwerden und sucht nach der auslösenden Ursache – für das Umfeld kommt das Verharren (hier das nicht reagieren) unter Umständen, als eine Art „Jammern“ an.
Unterschätze psychische Erfolgsfaktoren in der Knie-Rehabilitation
Während die Wahrnehmung noch relativ einfach ist, gestaltet sich die Interpretation einer Situation schwieriger – Zwei Beispiele:
1. Schmerzen im Knie nach dem Training
Sind diese Muskelschmerzen nach einer intensiven Trainingseinheit normal oder schon schädlich für das neue Kreuzband? Geht der Betroffene davon aus, dass es sich um einen heftigen Muskelkater handelt, freut er sich über ein erfolgreiches Training und pausiert einige Tage. Wenn er Sorge trägt, etwas im Knie verletzt zu haben, sucht er einen Arzt auf oder liest im Internet sämtliche Foren durch.
2. „Dickes Knie“ nach einem anstrengenden Arbeitstag
War die Belastung auf das Kniegelenk zu hoch oder liegt es daran, dass das vorhandene Muskeldefizit für die Belastung zu groß ist? Im ersten Fall müsste die Belastung reduziert werden, im zweiten Fall das Training intensiviert.
Die Reaktion auf eine bestimmte Situation wird vor allem durch die Wahrnehmung und die sich anschließende Interpretation geprägt – und weniger vom objektiven Zustand des Knies. Die Verarbeitung einer Kreuzband-OP mit Reha (auch Regeneration) hängt im entscheidenden Maße auch von psychologischen Faktoren ab.
Misserfolg in der Knie-Reha provozieren
Nach 14 eigenen Knie-Rehabilitationen habe ich viel Wissen, Erfahrung und auch Leid gesammelt. Mit jeder neuen Knie-OP fällt mir die sich anschließende Reha leichter – Jede Kreuzbandriss-Rehabilitation folgt einem spezifischen Muster, die Interpretation ist somit auch Erfahrungssache. Verglichen mit meinen anfänglichen Reha-Versuchen, verkürzte sich dadurch auch mein Trainingsaufwand und –zeit auf ungefähr die Hälfte.
Tipps, wie sich Betroffene psychisch die Kreuzbandriss-Reha erschweren:
- Denken, es gibt nur den einen und vor allem richtigen Weg nach Knieverletzungen
- Die Reha-Verantwortung an Arzt und Physiotherapeuten abgeben
- Die Schwachstelle „operiertes Kniegelenk“ nur in der Anfangszeit ernst nehmen
- Ungeduld und „zügelloses“ Leistungs- und Konkurrenzdenken
- Ständig denken, eigentlich würde ich jetzt viel lieber…
- Vergleiche mit dem Leistungslevel der Vergangenheit ziehen
- Sich ausschließlich auf die Defizite im Kniegelenk zu konzentrieren – nicht auf die kleinen Erfolge und Fortschritte achten.
„Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken.“ (Galileo Galilei)