Agilität oder SPRINT, SPRUNG, STOPP – Der ehemals am Kreuzband verletzte Sportler muss diese Strategie blitzschnell umsetzen. Nach einer Kreuzbandverletzung agiert der Sportler genau in diesen Bewegungen zu langsam. Seine sportlichen Aktionen und vor allem Reaktionen fehlt es an Kraft, Wendigkeit, Energie und Spritzigkeit. Ein Agilitätstraining ist die „Reha-Kür“ und damit eine unabdingbare Voraussetzung für die Rückkehr zum Sport nach einem Kreuzbandriss.
Kraftvoll, schnell und explosiv nach dem Kreuzbandriss
Unter Agilität in der Kreuzband-Reha verstehen Physiotherapeuten das sogenannte Training der Manövrierfähigkeit und Wendigkeit des Körpers.
Im engeren Sinne ist Agilität die Fertigkeit, die Richtung oder Orientierung des Körpers basierend auf einer raschen Verarbeitung von internen oder externen Informationen schnell, genau und ohne wesentlichen Verlust an Geschwindigkeit zu ändern [1].
Unmittelbar nach dem Kreuzbandriss spürt der Betroffene den Mangel an Agilität am deutlichsten. Alle Beinbewegungen wirken tapsig und schwerfällig. Der Kniepatient ist nicht in der Lage, angemessen und vor allem schnell auf Richtungswechsel zu reagieren. Beispielsweise, entgegenkommenden Menschen in einer überfüllten Einkaufspassage auszuweichen.
Dieses Leistungsdefizit verbessert sich durch das Training im Verlauf der Kreuzbandriss Reha zunehmend – oft bleibt „unbemerkt“ eine Agilitäts-Lücke bestehen. Ein gezieltes Training in den unterschiedlichen Kreuzbandriss-Reha Phasen wirkt diesem Defizit entgegen.
Agilitätstraining nach dem Kreuzbandriss
Fehlende Agilität im Sport ist für mich eines der größten Probleme nach einer Kreuzband-OP und der sich anschließenden Rehabilitation. Hier trennt sich die „Spreu vom Weizen“:
- Agilität gilt als Präventionsfaktor für den erneuten Kreuzbandriss,
- Agilität ist auch verantwortlich für die Rückkehr zum ehemaligen Sportlevel.
Agilität steht in enger Verbindung mit der Koordinationsfähigkeit. Koordination beinhaltet alle technischen Fertigkeiten, die benötigt werden, um feinmotorische und grobmotorische Bewegungen auszuführen. Die Koordinationsfähigkeit ist nach jeder Kreuzbandersatzplastik massiv gestört und zeigt sich im Alltag und Sport auf vielfältige Weise.
Agilität oder Wendigkeit berücksichtigt zusätzlich, die körperlichen Leistungen wie Beschleunigung, Entschleunigung und Richtungsänderungen. Ebenso bedarf es auch hier, der kognitiven Komponenten, wie das visuelle Erfassen von Situationen, das Entscheiden und entsprechende Reagieren (reaktive Agilität).
Ein Beispiel für reaktive Agilität sind kurze Sprints mit Richtungsänderungen, um den Fußball, Gegner oder Mitspieler zu erreichen.
Agilität nach einer Kreuzband-OP trainieren
Agilität besteht aus insgesamt mindestens sieben wichtigen Komponenten. Die Anteile sind in der Kreuzbandriss-Reha, gezielt und vor allem zeitlich versetzt zu trainieren. Die Agilität kommt nicht von alleine zurück – sie muss trainiert werden.
Die hohe „Kunst“ des Agilitätstrainings besteht in der Kreuzband-Reha zunächst darin, sie isoliert aufzubauen, obwohl die Schlüsselqualifikationen im Alltag und im Sport kombiniert auftreten. Voraussetzung für ein Training der Agilität nach einer Knieverletzung ist eine gut aufgebaute Beinmuskulatur und deren vollständige Kontrolle.
Praxisnahes Agilitätstraining – Schlüssel zum Erfolg
Der hauptsächliche Effekt des Agilitätstrainings nach einer Knieverletzung ist eine verbesserte Ganzkörperkontrolle und Eigenwahrnehmung. Das Agilitätstraining beinhaltet die effektive Kraftentfaltung, die korrekte Körperhaltung, die Orientierung der oberen und unteren Extremität sowie die kontrollierte Bewegungsausführung.
Agilität umfasst viele verschiedene Eigenschaften, die beim Kreieren eines Trainingsprogramms nach einer Kreuzbandoperation zu berücksichtigen sind. Beispielsweise, Koordination, dynamische Balance, Kraft, Geschwindigkeit, Stabilität und Beweglichkeit [2].
Komponenten des Agilitätstrainings zur Verletzungsprophylaxe
Die Hauptkomponenten des Agilitätstrainings bestehen damit im Einzelnen aus:
- Körperkontrolle und Eigenwahrnehmung,
- Wahrnehmung und angemessene Reaktion auf die Situation,
- Startgeschwindigkeit der Bewegung,
- Beschleunigung der Bewegung,
- Fußarbeit,
- Richtungswechsel,
- Abstoppen und Abbremsen [3].
Zu Beginn der Kreuzband-Reha ist es unmöglich, sich auf alle Komponenten zu konzentrieren. Zum einen fehlen die muskulären Voraussetzungen, zum anderen ist die Kreuzbandplastik bzw. das Kniegelenk für derartige Belastungen noch nicht bereit. Ein Agilitätstraining in der Endstufe beginnt frühestens nach 8 bis 12 Monaten – also vor der Rückkehr zu High-Impact-Sportarten.
Beispiele für Stufen der Komplexität hinsichtlich ihrer Bewegungsart:
- Horizontale Ganzkörperrichtungsänderungen: Ausweichbewegungen, Täuschungsmanöver
- Vertikale Ganzkörperrichtungsänderungen: Hopser und Sprünge
- Schnelle Bewegungen von Körperteilen zur Kontrolle von Gegenständen: Fußball, Tennis, Squash.
Keep it simple – Trainingseinstieg nach dem Riss
Die Agilitätsübungen (auch Knieübungen) unterteilen sich in verschiedene Kategorien mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad. Das Knietraining unterscheidet in geplante und reagierende Übungsformen. Das Reha-Ziel besteht darin, zunächst das selektive Bewegen im Sinne des geforderten Musters neu zu erlernen.
Basis – Geplante Übungen
Hier kennt der Kniepatient frühzeitig die nächsten Schritte, sodass er seine Aktionen entsprechend planen kann. Das gewünschte Ergebnis ist die Präzision in vorgegebenen Bewegungsmustern mit maximaler motorischer Kontrolle.
Mit diesen Basisübungen trainiert der ehemals verletzte Sportler seine grundlegenden Bewegungsmuster: Sämtliche Übungen mit Markierungen, Hütchen oder auch der Koordinationsleiter (Agility Ladder), bei denen der Sportler genau weiß, welche Aktion beim Erreichen der nächsten Markierung durchzuführen ist.
Fortschritt – Reagierende Übungen
Reagierende Übungen beinhalten unvorhersehbare Ereignisse und imitieren somit den Wettkampfsport. Die Sportler reagieren auf einen hörbaren, spürbaren oder optischen Reiz. Entscheidend bei diesen Übungen, der Sportler weiß nicht, wann und welche Reize auftreten. Da der Athlet erst ab der Reizwahrnehmung reagieren kann, ist ein höheres Niveau der neuronalen Verarbeitung und damit auch der neuronalen Koordination notwendig.
Übungsauswahl und Steigerung in der Kreuzbandriss-Reha
Die Auswahl bestimmter Agilitätsübungen richtet sich nach dem Reha-Fortschritt und erst im späteren Stadium nach den sportartspezifischen Anforderungen. die Systematik des Agilitätstrainings folgt dem Prinzip einer allmählichen Steigerung, beginnend mit dem (Wieder-)Erlernen der entsprechenden Bewegungsfertigkeiten für Beschleunigung, Entschleunigung und Richtungswechsel. Innerhalb der Kreuzbandriss-Reha sind die ausgewählten Übungen zunächst sehr langsam oder statisch zu trainieren, erst bei guter Ausführung steigt die Geschwindigkeit. Gegen Ende der Knie-Reha oder ab einem bestimmten Leistungsniveau steigert sich das Training in Richtung der reaktiven Agilität (= Reaktionsübungen).
Agilität nach Knieverletzung selbst testen
Eine hohe Agilität zeichnet sich durch effiziente, in mehreren Ebenen koordinierte und mit Tempovariationen ausgeführte Bewegungen aus [4].
Das E-Book „Wann wieder Sport nach dem Kreuzbandriss“ beinhaltet einige Agilitätstests. Die Tests messen vor allem die physischen Komponenten wie Richtungs-und Geschwindigkeitsänderung sowie das visuelle Erfassen von Situationen. Damit eine gute Grundlage für die weitere Trainingsplanung und den richtigen Zeitpunkt für die Rückkehr zum Sport.
Quelle
[1] Klika B. Speed, agility and quickness training for performance enhancement. In: Clark MA, Lucett SC, Kirkendall DT, eds. NASM’s essentials of sports performance training. Philadelphia: Lippincott illiams & Wilkins; 2010: 227–256
[2] Clark MA, Lucett SC, Kirkendall DT, eds. NASM’s essentials of sports performance training. Philadelphia: Lippincott Williams & Wilkins; 2010
[3] Gambetta V. Athletic development: The art & science of functional sports conditioning. Champaign: Human Kinetics; 2007: 241–245
[4] Kovacs M. Plyometric, speed, and agility exercise prescription. In: Chandler TJ, Brown LE, eds. Conditioning for strength and human performance. Philadelphia; Lippincott Williams & Wilkins; 2013