Eine langwierige Knieverletzung als Folge eines Unfalls oder Traumas verändert vielfach die Persönlichkeit. Es gibt Menschen, die gestärkt aus solchen Krisen hervorgehen – andere wiederum nicht. Was macht den Unterschied? Vielleicht die Rückbesinnung auf das Wesentliche im Leben oder das Anerkennen der eigenen Verletzlichkeit? Das „Paradox des Wachstums““ gibt eine Antwort.
Paradox des Wachstums nach Knieverletzung
In der Vergangenheit konzentrierte sich die psychologische Forschung vorwiegend auf die negativen Auswirkungen einschneidender Erlebnisse oder persönlichen Krisen. Bei dem Beitragstitel „Schwere Knieverletzung macht stark“, handelt es sich um ein Paradox(on), also eine Aussage, die scheinbar einen unauflösbaren Widerspruch enthält – Krankheit und Stärke.
Doch persönliches Wachstum bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Betroffene nach einer Knieverletzungen nicht zu ihrem seelischen Ausgangszustand zurückkehren, sondern sich persönlich weiterentwickeln.
Typische Aussagen von Patienten: „Ich bin viel stärker, als ich es von mir erwartet hätte!“ Oder: „Ich hätte niemals gedacht, dass ich das alles aushalte!“
Positive Selbstgespräche fördern die Genesung
Ein Trauma oder eine langwierige Rehabilitation bringt Betroffene dazu, sich mit ihren Werten, Motiven und Prioritäten im Leben auseinanderzusetzen. Einige führen den inneren Dialog sehr produktiv andere wiederum stürzen sich in Schuldzuweisungen und Ablenkungen. Der Unterschied beider Gruppen liegt nicht in der Knieverletzung selbst, sondern im Umgang mit den Krankheits-oder Verletzungsfolgen. Auch oder besonders eine schiefgelaufende Knieoperation bedeutet damit unter Umständen persönliches Wachstum.
Der innere Dialog endet vielfach in Erkenntnissen wie, ich fühle mich selbständiger; ich gebe mir in meiner Partnerschaft mehr Mühe; ich achte verstärkt auf meine Gesundheit, mein Glaube ist stärker geworden bis – einschließlich des kompletten Fehlens jeglichen Wachstums.
Drei Missverständnisse beim Wachstum nach Knieverletzungen
Manchen Patienten widerstrebt jedoch der Gedanke, dass ein Schicksalsschlag, wie beispielsweise eine komplexe Knieverletzung, etwas Gutes an sich haben soll. Ich habe auch noch nie von einem Patienten gehört, der behauptete: „Der Kreuzbandriss war ein wahrer Glücksfall!“ oder „Die Knieinfektion war das Beste, was mir passieren konnte!“
Beim Paradox des Wachstums steht nicht das Ereignis selbst im Mittelpunkt. Es geht konkret, um die Auseinandersetzung mit den Folgen eines Ereignisses oder Traumas. Es geht um das Bemühen, das was geschehen ist, zu bewältigen, ein positiven Wandel entstehen zu lassen. Aus der Knieverletzung mit seinen Folgen, etwas Gutes für das zukünftige Leben abzuleiten. Wichtig, es ist also nicht das Trauma selbst, das Patienten wachsen lässt, sondern die Auseinandersetzung mit seinen Folgen.
Dabei schließen auch tiefgreifende Gefühle von Hoffnungs- oder Hilflosigkeit ein Wachstum nicht aus. Symptome tiefer Verzweiflung können ein Anzeichen für die Auseinandersetzung mit dem Trauma sein, aus der persönliches Wachstum entstehen kann.
Das zweite Missverständnis basiert auf der Grundlage des Zitates von Friedrich Nietzsche „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker!“ Diese Aussage stimmt nur bedingt. Zum einen ist es wie bereits erläutert nicht das Ereignis selber, sondern die Auseinandersetzung mit den Ereignisfolgen, zum anderen kennt das persönliche Wachstum (Schmerz-)Grenzen. Es gibt Schicksalsschläge, die sind so belastend, dass die positive Veränderung kippt. Psychologen gehen von einer umgedrehten U-Kurve aus, sodass das persönliche Wachstum bei noch größeren Schicksalsschlägen immer geringer ausfällt.
Ein drittes und letztes Missverständnis ist die Vermutung, dass vor allem widerstandsfähige (resiliente) Patienten, die sich nicht so leicht aus der Bahn werfen lassen, vor allem positive Entwicklungen erleben. Untersuchungen ergaben, dass ein zu viel an Widerstandsfähigkeit auch hinderlich für das persönliche Wachstum sein. Allerdings kann eine hohe Resilienz, als neue Eigenschaft und damit als Stärke am Ende der Persönlichkeitsentwicklung stehen. Wichtig, die Resilienz ist ein Ergebnis des Prozesses und keine Voraussetzung dafür.
Knieverletzung und Wachstum ist eine Reise
Der schwierige Weg vom Trauma, Unfall oder Diagnose zum Wachstum ist ein langsamer Weg. Denn zunächst einmal geht das Weltbild (ganz oder teilweise) der Betroffenen durch den Schicksalsschlag in die Brüche. Vor allem junge Patienten erkennen, dass sie verletzlich ist, dass das Leben nicht fair und manches weder vorhersagbar noch kontrollierbar ist – ein Weckruf zum Nachdenken.
Dabei drängen sich immer wieder dieselben Fragen auf:
- Warum ist das gerade mir passiert?
- Hätte ich es verhindern können?
- Warum habe ich (oder sonst jemand) nicht anders gehandelt?
- Was für einen Sinn hat das alles?
- Wozu soll das Gut sein?
Unmittelbar nach einem Unglück tauchen immer wieder Bilder des Geschehens im Bewusstsein auf. An diese unangenehmen und ungewollten Gedanken schließen sich, wenn alles optimal verläuft, geregeltere, absichtsvolle Denkprozesse an. Die Betroffenen versuchen zu verstehen, was passiert ist, sie geben dem Ganzen einen Sinn und errichten damit unabsichtlich ein verändertes Selbst- und Weltbild.
So kann eine neue (Lebens-)Geschichte entstehen, in der alles wieder seine Ordnung hat. Das bedeutet auch, dass positive Veränderungen sich nicht sofort einstellen, sondern sich über einen längeren Zeitraum ausbilden und auch unterschiedlich schnell verlaufen.
Wachstum bei Knieproblemen fördern
Faktoren, die positive Veränderungen fördern, sind emotionale Stabilität, Interaktionsfähigkeit, Offenheit und realistischer Optimismus. Diese Persönlichkeitseigenschaften unterstützen zwei wichtige Bewältigungsstrategien in einem sehr positiven Maße:
- Strategie: Sich auf die Aufgaben konzentrieren, also das Lösen von praktischen Problemen.
- Strategie: Umgang mit Emotionen wie Angst, Trauer oder Schuldgefühlen.
Es hilft sich mit anderen Menschen zu unterhalten und sich auf Positives oder Fortschritte zu konzentrieren, wie etwa (kleine) Dinge, für die man täglich dankbar ist. Auch Entspannungsübungen und körperliche Bewegung sowie Rituale unterstützen die Entwicklung.
Was auf die Dauer nicht funktioniert, ist eine Vermeidungshaltung, also die aufkommenden Probleme und die eigenen Gefühle zu ignorieren, sich in die Arbeit oder Knie-Reha zu stürzen und angstauslösende Situationen zu meiden. Kurzfristig allerdings kann ein solches Verhalten schützen und verhindern, dass man vom Ausmaß der Katastrophe überwältigt wird. Jemanden zu kennen, der eine ähnliche Knieverletzung überwunden hat, ist nützlich, genauso wie der Austausch in einschlägigen „hochwertigen“ Foren im Internet oder im Blog.