Verschiedene wissenschaftliche Studien zeigen, dass ein Kreuzbandriss im Frauenfußball öfters auftritt als bei Männern – bezogen auf die Spiel- und Trainingszeiten. In den letzten Jahren fanden einige systematische Untersuchungen statt, um Erklärungen für das Phänomen der Geschlechterunterschiede bei Kreuzbandrissen im Fußball zu finden.
Das Ziel dieser zweiteiligen Artikelserie „Kreuzbandriss im Frauenfußball“, ist einen Überblick über die möglichen Gründe von Geschlechtsunterschieden bei Kreuzbandverletzungen zu geben und daraus Empfehlungen zur Minimierung des Risikos für Kreuzbandrisse bei Frauen abzuleiten.
Häufigkeit von einem Kreuzbandriss im Frauenfußball
Die meisten Kreuzbandrupturen passieren beim Sport – dort vor allem bei Sprüngen und schnellen Drehbewegungen wie sie etwa beim Fußball, Basketball oder Handball ständig vorkommen. Gefolgt von Sportunfällen im Alpin Ski.
Allen Untersuchungen ist gemeinsam, dass Kreuzbandrisse im Frauenfußball (und auch Handball, Basketball) häufiger vorkommen als bei den männlichen Kollegen. Die Zahlen schwanken dabei je nach Untersuchung und Design [1]. Das Risiko für einen Kreuzbandriss im Frauenfußball im Vergleich zu den Männern wird dabei zwischen 2,4 bis 9,5-mal erhöht beschrieben [2].
Auch im Junior-Bereich des Frauenfußballs liegt die Verletzungsrate dreimal höher als bei den männlichen Junioren. Amerikanischen Untersuchen belegen, dass Kreuzbandverletzungen im Frauenfußball bzw. Mädchenfußball 2,4-mal häufiger sind [3].
Interessanterweise kommen etwa 70 % der Kreuzbandverletzungen, beispielsweise im Handball, ohne direkte Beteiligung eines Mitspielers zustande (Nicht-Kontakt-Situationen) [4].
Erhöhtes Risiko auch für Re-Rupturen am Kreuzband
Der Fußball der Damen hat sich in den letzten 10 Jahren stark entwickelt – mit ihm das Risiko auf eine schwere Knieverletzung. Inzwischen ist die Zahl der Knieverletzungen bei Frauen und Männern fast gleich hoch. Re-Rupturen an den vorderen Kreuzbändern sind bei Frauen – inzwischen vier bis neunmal häufiger als bei Männern. Offenbar sind weibliche Knie beim Abbremsen, bei Landungen nach Sprüngen sowie bei Drehungen im Nachteil. Ähnliche Zahlen gelten auch für Knieverletzungen am Meniskus. Deshalb muss der Zeitpunkt für eine Rückkehr zum Sport nach einem Kreuzbandriss gut vorbereitet sein.
Unterschiede im Körperaufbau zwischen Mann und Frau
2/3 der Knieverletzungen passieren bei Landungen mit gestrecktem Knie, beispielsweise nach Kopfbällen, sowie Stürze nach hinten mit gebeugtem Kniegelenk oder plötzlichen Abstoppen mit Drehbewegungen – das sind die typischen Verletzungssituationen im Frauenfußball. Um zu erklären, warum Frauen-Kreuzbänder schneller reißen, hilft eine geschlechtsspezifische Betrachtung der anatomischen Unterschiede.
Kreuzband-Notch bei Frauen
Das Kniegelenk besteht aus drei Knochen: Femur (Oberschenkelknochen), die Tibia (Schienbeinknochen) und die Patella (Kniescheibe). Alle Kontaktflächen sind mit einer Knorpelschicht überzogen. Das Kniegelenk ist nicht knochengeführt, d. h. die Stabilisation des Knie in seinen Achsen geschieht über vier Hauptbänder: Vereinfacht dargestellt, stabilisieren das Innen- und Außenband die seitlichen Bewegungen, das vordere (VKB) und hintere (HKB) Kreuzband alle entsprechenden Bewegungen nach vorne bzw. nach hinten.
Das vordere und hintere Kreuzband verläuft über Kreuz durch die interkondylare Fossa (engl. Notch oder Kreuzbandhöhle). Diese schmale knöcherne Stelle liegt am Ende des Femurs. Dort verhindert das vordere Kreuzband eine zu starke Innenrotation sowie ein übermäßiges Gleiten der Tibia nach vorne.
Die Weite dieser Fossa steht in direkten Zusammenhang mit der Körpergröße und damit auch mit dem Durchmesser der Kreuzbänder. Möglicherweise ist ein Impingement des vorderen Kreuzbandes am vorderen Rand der engeren Fossa, die Ursache für vermehrte Kreuzbandverletzungen bei Frauen [5].
Obwohl die Vermutung zunächst plausibel klingt, dass dem vorderen Kreuzband bei weiblichen Knien weniger Raum zur Verfügung steht, um sich entsprechend bei heftigen oder eindrehenden Bewegungen zu verlagern, wird das „Einklemmen“ des vorderen Kreuzbandes noch kontrovers diskutiert. Denn der Mechanismus der vorderen Kreuzbandverletzung in Bezug auf die Notch konnte bisher nicht eindeutig geklärt. Letztlich spricht die Tatsache, dass Basketballerinnen im Durchschnitt größer sind und damit eine weitere Fossa haben, gegen diese Erklärung – dort ist die Rate der vorderen Kreuzbandrisse im Verhältnis zum Männersport nicht geringer.
Breites Becken bei Fußballerinnen
Eine Frau hat aus biologischen Gründen im Verhältnis zur Körpergröße, ein breiteres Becken als der Mann. Diese anatomischen Unterschiede stellen im Frauenfußball in Bezug auf Kreuzbandverletzungen ein Problem dar.
Am oberen Ende des Oberschenkelknochens (Femur) befindet sich sein Kopf, der mit einer kugelförmigen Gelenkfläche eine Verbindung mit den Beckenknochen bzw. dem Hüftgelenk bildet. Am unteren Ende des Femurs bildet sich am Kniegelenk das Schienbeinplateau. Genauer ausgedrückt „spaltet“ sich der Knochen am Kniegelenk in zwei Knorren, die eine Grube (erwähnte Fossa intercondylaris) bilden.
Ungünstiger Q-Winkel begünstigt Kreuzbandriss im Frauenfußball
Der M. Quadrizeps setzt am oberen Ende des Femurs (Ursprung) an und endet an der Tibia bzw. dem Schienbeinkopf. Die Breite des Beckens bestimmt somit den Winkel des Quadrizeps (Q-Winkel). Je breitet das Becken, desto ungünstiger der Q-Winkel. Vereinfacht ausgedrückt, beschreibt der Q-Winkel die Zugrichtung des vorderen Oberschenkelmuskels und damit einen der Hauptstabilisatoren für das Kniegelenk.
D. h., dreht eine Fußballspielerin ihr Kniegelenk zu stark nach innen, nimmt die Belastung aufgrund des unvorteilhaften Q-Winkels mehr zu als bei einem männlichen Fußballspieler – was letztlich zunehmend Stress für das vordere Kreuzband bedeutet.
Hinzu kommen Unterschiede in den Bewegungsabläufen. Frauen tendieren, anatomisch bedingt, etwas stärker zu X-Beinen (Valgus-Stellung). Unter Bewegung ist das noch bedeutender – auch das macht das vordere Kreuzband anfälliger für Risse beim weiblichen Geschlecht.
Unzuträgliche frauenspezifische Bewegungsmuster
Verschiedene Studien zeigen auch, dass Fußballerinnen nach dem Sprung aufrechter landen als männliche Fußballspieler. D. h., Frauen beugen ihre Knie- und Hüftgelenke weniger stark, diese aufrechten Körperhaltungen der Frauen sind auch bei den Drehbewegungen beobachtbar. Eine Sprunglandung auf einem Bein, bei tendenziell mehr gestrecktem Bein, stellt eine enorme Belastung für das vordere Kreuzband dar.
Denn dieser Muskelmechanismus begünstigt die vordere Oberschenkelmuskultur zum Nachteil der hinteren Oberschenkelmuskulatur bzw. der ischiokuralen Muskulatur (engl. Hamstrings). Der Hebelarm der Hamstrings verkürzt sich bei fixiertem Fuß; doch genau diese hintere Oberschenkelmuskulatur sichert das allzu heftige Verschieben des Unterschenkels nach vorne – und unterstützt damit das VKB in seiner Funktion. Je gestreckter ein Bein ist, desto weniger wirken die Kräfte der hinteren Oberschenkelmuskulatur.
Auf diese Weise sind die auftretenden Landungskräfte bei Frauen, z. B., nach einen Kopfballsprung weniger gut durch die muskulären Anteile absorbiert – die Kraft wirkt vermehrt auf das vordere Kreuzband, das VKB reißt schneller. Ein Artikel mit weitere Infos zum häufigsten Verletzungsmechanismus nach Kreuzbandrissen und deren Training – „4 Mythen beim Aufbautraining nach Kreuzbandverletzungen.“
Hinzu kommt die Beobachtung, dass Frauen auch nach Sprüngen stärker in der bereits erwähnten Valgus-Stellung aufkommen. Die Spielerinnen knicken bei der Landung mit einem Bein nach innen, der Knöchel dreht nach außen – der „Klassiker“ für Kreuzbandverletzungen.
M. Quadrizeps Dominanz als Nachteil beim Kreuzbandriss
Frauen haben in der Regel eine besser ausgebildete vordere Oberschenkelmuskulatur. Bei Männern besteht eher ein Gleichgewicht zwischen vorderer und hinterer Oberschenkelmuskulatur sowie der Gesäßmuskulatur, was in Kreuzbandriss trächtigen Verletzungssituationen von Vorteil ist. Sportlerinnen mit dieser Ausprägung nutzen ihre Quadrizeps-Muskulatur vermehrt beim Stoppen und bei Landungen. Sobald der M. Quadrizeps in Beugestellung aktiviert wird, schiebt sich die Tibia nach vorne – das Verletzungsrisiko für das Kniegelenk steigt.
Hormone auch bei einer Kreuzbandruptur
Die Auswirkungen von weiblichen Sexualhormonen auf einen Kreuzbandriss im Frauenfußball sind umstritten. Bekannt ist, dass die weiblichen Geschlechtshormone (Östrogen und Progesteron) sich auf die Eigenschaften des Bindegewebes auswirken. Auch steht fest, dass sich im Kreuzband Östrogen- und Progesteronrezeptoren nachweisen lassen. Damit liegt natürlich der Verdacht nahe, dass diese Hormone in irgendeiner Weise, die Struktur und Eigenschaft des vorderen Kreuzbandes beeinflussen.
Bei Kaninchen ließ sich eine Abnahme der Zugfestigkeit des vorderen Kreuzbandes mit ansteigendem Östrogenspiegel nachweisen [6]. Die Studien am Menschen kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einige Studien fanden ein Zusammenhang zwischen Menstruationszyklus und Kreuzbandlaxizität, andere konnten keinen statistisch relevanten Zusammenhang feststellen. Für die unterschiedlichen Ergebnisse dürfte mitunter Untersuchungsdesign auch das Untersuchungsdesign verantwortlich sein, denn die Messung der Hormone über das Blutserum an sich, ist wissenschaftlich nicht unumstritten – „freie“ Hormonkonzentration im Blut vs. Hormonkonzentration in der Zelle.
Die Einnahme von Kontrazeptive („die Pille“) zeigte allgemein einen Einfluss auf die Drehverletzungen im Kniegelenk, doch auch hier ist unklar, ob der Effekt durch ein „schlafferes“ Bindegewebe oder den Einfluss der Hormone auf das neuromuskuläre System bedingt ist. Über den Zusammenhang einer vorderen Kreuzbandverletzung und oraler Kontrazeptive gibt es keine gesicherten Aussagen.
Fazit für den weiblichen Fußball
Kreuzbandverletzungen kommen im Ballsport, vor allem im Frauenfußball, etwa 2,4 bis teilweise 9,5-mal häufiger vor. Damit unterliegen Frauen, obwohl 70 % der Kreuzbandrisse ohne Kontakt entstehen, einen hohen Risiko für diese Art von Knieverletzung. Ebenfalls erhöht ist das Risiko für eine Kreuzband Re-Ruptur. Die meisten Kreuzbandrisse entstehen bei den „ungünstigen gestreckten“ Landungen auf einem Bein und schnellen Richtungswechseln. Der Unterschied in der Häufigkeit von VKB-Rissen bei den Frauen liegt hauptsächlich in der Anatomie begründet. Die nur leichte Kniebeugung, in Valgus-Stellung und dem Körperschwerpunkt hinter dem Kniegelenk, sowie die Dominanz des M. Quadrizeps führt vermehrt zu Stress-Situationen des weiblichen vorderen Kreuzbandes. Außerdem gibt es Hinweise, dass die Kreuzbandstabilität durch Hormone beeinflusst wird.
Da weder etwas an der Anatomie, noch an der hormonellen Situation der Frauen geändert werden kann, bedeuten diese Erkenntnisse für den Kreuzbandriss im Frauenfußball hauptsächlich:
- Intensive Aufklärung über Verletzungsmechanismen und Risiko bei gesunden und bereits verletzten Sportlerinnen.
- Bewusstmachen und Modifikation von gefährdeten „typisch-weiblichen“ Bewegungsmustern im Fußball-Training.
- Fokus in der späten Kreuzbandriss-Rehabilitation auf kritische Verletzungssituationen.
- Mehr Sicherheit bei der Rückkehr zum Sport nach Kreuzbandrissen.
- Verstärktes sportartspezifisches Präventionstraining nach Kreuzbandrissen.
Der zweite Teil der Artikelserie „Kreuzbandriss im Frauenfußball“ beschäftigt sich mit Strategien, Tipps und Möglichkeiten das Risiko für Kreuzbandrisse im Frauenfußball zu senken.
Quelle:
[1] Messina DF, Farney WC, DeLee JC. The incidence of injury in Texas high school basketball. A prospective study among male and female athletes. Am J Sports Med 1999; 27:294-299
[2] Shelbourne DK, Facebene WA, Hunt JJ. Radiographic and intraoperative intercondylar notch with measurement in men and women with unilateral and bilateral anterior cruciate ligaments tears. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 1997: 5:229-233
[3] Lindenfeld TN, Schmitt DJ, Hendy MP, Managine RE, Noyes FR. Incidence of injury in indoor soccer. Am J Sports Med 1994; 22: 364-3715
[4] Stand T, Tydte R, Engelbretsen L, Tegnander A. Anterior curciate ligament injuries in handball playing. Mechanisms and incidence of injuries. Tidsskr Nor Lageforen 1990; 30; 222-225
[5] Muneta T, Takaduda K, Yammamoto H. Intercondylar notch width and ist relation to configuration and cross sectional area oft he anterior cruciate ligament: A cadaveric knee study: Am J Sports Med 1997; 25 69-72
[6] Slauterbeck J, Elevenger C, Lundberg W, Burchfiled DM. Oestrogen levels alters the failure load of rabbit anterior cruciate ligament: J. Orthop Res 1999; 17: 405-408