Die Patellaluxation: Wenn die Kniescheibe öfters rausspringt

By Katrin Glunk

April 6, 2015


Das Herausspringen der Kniescheibe bezeichnen Mediziner als Patellaluxation oder Kniescheibenverrenkung. Kennzeichen einer instabilen Knieschiebe sind Schmerzen und ein wiederholt teilweises (Patellasubluxation) oder vollständiges Herausspringen (Patellaluxation) der Kniescheibe. Bei der Instabilität einer Kniescheibe unterscheiden Ärzte die akute und chronisch wiederholte (rezidivierende) Kniescheibenluxation.

Ziel der Behandlung einer Kniescheibeninstabilität ist es, ein erneutes Herausspringen der Patella und damit dauerhafte Schäden am Kniegelenk zu verhindern. Je nach Ausmaß der Kniebeschwerden erfolgt die Therapie einer „lockeren“ bzw. „wackeligen“ Kniescheibe konservativ oder operativ. Die Operationstechnik einer instabilen Patella mit einer Sehne, nennen Mediziner entweder MPFL-Ersatz, MPFL-Plastik oder MPFL-Rekonstruktion – manchmal ist auch eine MPFL-Naht möglich. MPFL ist die Abkürzung für Mediales patellofemorales Ligament.

Erst die Patellaluxation, später die MPFL-Plastik – Gino (2)

Fünf Jahre später, spielte Gino wieder Fußball. Doch seine zahlreichen Voroperationen behinderten ihn immer noch. In der Fußball-Saison 1996/97 hatte Gino einen Trainingsunfall. Er schenke dem Ereignis zunächst wenig Beachtung. Doch die Kniebeschwerden besserten sich nicht, so dass er sich im Herbst 1996 zu einer weiteren Arthroskopie am Knie entschloss – festgestellt wurde in der OP nichts. Nur 10 Tage später trat Gino wieder gegen den Ball. Erstaunlicherweise erfolgreich – er war wieder der Abwehrspieler und fand zu seiner „alten“ Form zurück.

Im letzten Fußballspiel der Saison 1996/97 traf Gino auf einen Gegner, der noch um die Meisterschaft kämpfe, entsprechend war das Spiel von Härte geprägt. Nach einem Abwehrversuch an der Strafraumgrenze, verhakte sich ein Spieler in seinem Bein; Gino schrie nur noch vor Schmerzen.

An jenen schicksalhaften Tag im Mai 1997 erinnert sich Gino noch heute ganz genau. Nach dem Spiel folgten einige Besuche bei Orthopäden und schlussendlich lautete die Diagnose ein Riss im Innenmeniskus. Ginos nächste Knie-OP folgte im Sommer 1997, dabei wurde ihm der Innenmeniskus (Meniskus-Repair) genäht. Die Meniskusnaht hielt jedoch nicht. Deshalb wurde drei Monate später ein Teil des Innenmeniskus entfernt (Meniskusresektion) – die Schmerzen in seinem Knie blieben.

Gino wechselte den Arzt und so kam es, keine vier Monate später, zum erneuten Eingriff am Knie. Auch hier wurde ein Teil des Meniskus entfernt. Als OP-Komplikation folgte erneut ein ausgeprägtes Hämatom (Bluterguss), das operativ ausgeräumt wurde. Wieder wunderte sich kein Arzt über die ständigen Hämatome nach seinen Kniearthroskopien. Gino absolvierte anschließend eine stationäre Reha. Danach musste wieder operativ ein freier Gelenkkörper im Knie entfernt.

Vor Patellaluxation der Knorpelschaden
Vor Patellaluxation kam der Knorpelschaden (re) | Foto: knie-marathon.de

Im Winter 2000, keine zwei Jahre später, hatte der Unglücksrabe Gino einen Arbeitsunfall. Dieser Ausrutscher wurde damals mit einem lapidaren Satz: „Sie haben eine Knieprellung“ abgetan. Die Schmerzen blieben und im Juli 2000 wurde das Ginos Kniegelenk arthroskopiert. Die niederschmetternde Diagnose: „Knorpelschaden im rechten Kniegelenk“.

Gino begab sich daraufhin in eine Fachklinik für Knorpeltransplantation. Es folgte eine zweizeitige Knieoperation (Züchtung der Knorpelzellen und Einsetzen der gezüchteten Knorpelzellen). Beim operativen Einsetzen der Knorpelzellen wurde auch Ginos Tuberositas tibiae versetzt, um die patellofemorale Instabilität zu behandeln. Bei der Operation wurde die Tuberositas tibia mit anhängender Patellasehne vorsichtig abgelöst, medialisiert und mit Schrauben fixiert.

Nach dieser Knie-OP kam es, wie es kommen musste, wieder ein Hämatom. Diesmal leider begleitet von einer Infektion im Knie. Die operative Kniespülung zur Beseitigung der Keime im Kniegelenk war erfolgreich. Leider „lief“ Ginos Kniescheibe nach diesen Operationen nicht mehr richtig – er hatte mehrfach eine Patellaluxation.

Daraufhin entschlossen sich die Ärzte zu einem lateralen Release. Diese Knieoperation sollte die Patella von Gino entlasten und die instabile Kniescheibe zurück in ihre Gleitlinie (Trochela) bringen. Wie es mit dem Versuch seine Kniescheibe vor dem ständigen Herausspringen zu retten, weiter geht, folgt im Teil 3 – Ginos MPFL-OP.

Untersuchung und Behandlung einer Patellaluxation

In den meisten Fällen gleitet eine akute ausgerenkte Kniescheibe wieder von alleine in ihr Gleitlager zurück. Geschieht dies nicht, ist die Fehllage der Patella von außen sichtbar und der Arzt ertastet die Fehlstellung der Kniescheibe. Weitere Untersuchungen sind in diesem Zustand nicht möglich. Das Zurückführen (Repositionierung) der Kniescheibe in ihre ursprüngliche Lage ist die erste therapeutische Maßnahme. In einem zweiten Schritt gilt es herauszufinden, weshalb die Kniescheibe „springt“ bzw. „sich lockert“.

Manuelle Untersuchung einer instabilen Kniescheibe

Die Gründe einer Patellaluxation sind oft auf mehrere Ursachen zurückführbar. Deshalb erfordert die Untersuchung eine gründliche Überprüfung der unteren Extremitäten, der Hüfte, der Beinachsen sowie der Statik der Fußgelenke. Besonders die Stellung der Beinachsen (Varus– oder Valgus Stellung) ist wichtig. Schwellung, Erguss und Schmerzpunkte geben dem Arzt weitere Auskünfte.

Auch eine deutlich unterentwickelte Oberschenkelmuskulatur (Atrophie des Vastus medialis) kommt als Auslöser für eine instabile Kniescheibe in Frage. Diese Muskelverkürzungen sind häufige Ursache für den vorderen Knieschmerz (patellofemorales Schmerzsyndrom).

Mediziner prüfen zudem die Rotation (Ante- und Retrotorsion) des Oberschenkels (Femur) auf Rotationsfehler bei der Tibia. Außerdem beurteilt der Arzt mit einem manuellen Tests („Patellar-Tilt-Test“) die Kniescheibeninstabilität und die Festigkeit des äußeren Retinakulums. Knirscht die Knieschiebe (patellofemoraler Krepitus) liegt möglicherweise auch eine Knorpelschädigung an der Knieschiebe vor.

Nach der manuellen Repositionierung sowie Untersuchung der Patella folgen Röntgenbilder und MRT- bzw. Kernspintomographieaufnahmen. Diese Bilder sind wichtig, denn erst diese Aufnahmen zeigen, die entstandenen Verletzungen im inneren des Kniegelenks.

Die Patella schrammt bei Herausspringen über die äußere Kante des Oberschenkels, hierbei können Knorpelverletzungen an der Kniescheibenrückseite entstehen oder Teile des Oberschenkelknochens abbrechen. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass beim Herausspringen der Kniescheibe das mediale patellofemorale Ligament – MPFL-Band zerreißt.

Röntgen bei herausgesprungener Patella

Bei einer akuten Knieverletzung zeigt das Röntgenbild die Verletzungen am Knochen. Zudem lässt sich die Form der Patella (keilförmig oder flach) und die Tiefe der Gleitrinne (Trochela) bestimmen. Bei der chronischen Kniescheibeninstabilität zeigt die Röntgenaufnahme auch den Grad der patellofemoralen Arthrose (Kniescheibe- oder Retropatellararthrose).

Magnetresonanz- oder Kernspintomographie bei einer Patellaluxation

Patellaluxation - Instabile Kniescheibe
Patellaluxation – Instabile Kniescheibe | Foto: knie-marathon.de

Die MRT-Aufnahmen liefern bei einer Patellaluxation Informationen über Begleitverletzungen an Bändern, Knochen und Knorpelschichten. Eine erstmalige, im Rahmen eines Unfalls entstandene Kniescheibenverletzung, erfordert diese MRT-Bilder. Aber auch bei wiederholten Patellaluxationen ohne Trauma, hilft das MRT, die Lage sowie Beschaffenheit der Knorpelfläche hinter der Kniescheibe zu beurteilen.

Außerdem ist nur mit einer MRT-Aufnahme eine Ruptur des medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL) eine Knorpelprellung bzw. Knochenmarksödems (Bone bruise) darstellbar.

Die Kernspin- oder Computer-Tomographie (CT) stellt die knöchernen Strukturen im Kniescheibengelenk am besten dar und wird für die Erfassung der knöchernen Gegebenheiten und Vermessung der Dysplasie der Kniescheibe vor allem bei chronischen Kniescheibeninstabilitäten und in komplexen Situationen eingesetzt.

Eine OP bei einer luxierten Kniescheibe und deren Reha Möglichkeiten bespreche wir auch in dieser Podcast Folge: Patellaluxation OP – Was tun, wenn die Kniescheibe verrutscht

Akute Behandlung einer Luxation der Patella

Springt die Kniescheibe heraus und gleitet nicht von alleine in ihre ursprüngliche Position zurück, führt der Arzt eine Repositionierung durch. Dabei wird das Kniegelenk vorsichtig in eine gestreckte Position gebracht aus der dann die Kniescheibe zurückgeleitet. Bei einem starken Erguss nimmt der Arzt eventuell noch eine Kniepunktion vor. Regelmäßiges Kühlen und Schmerztabletten (Ibuprofen) lindern die Kniebeschwerden. Der akuten Behandlung der Kniescheibe schließt sich die bildgebende Diagnostik an, die unter Umständen ein operatives Vorgehen nahelegt.

Konservative Therapie einer Patellaluxation

Die Erstluxation einer Knieschiebe kann, wenn keine gravierenden Schäden vorliegen, durchaus konservativ behandelt werden. Es empfiehlt sich das Kniegelenk mit einer Knieorthese für etwa zwei bis drei Wochen, je nach Verletzungsmechanismus auch mehr, ruhig zu stellen.

Anschließend erfolgt der Muskelaufbau in Form von Kräftigung des Quadrizepsmuskels (mit Vastus medialis obliquus) sowie Stretching des lateralen Retinakulums, des Quadrizeps, der Hamstrings und der Achillessehne sowie dem iliotibalem Band. Auch rumpfstabilisierende Maßnahmen (Core-Training) in der Physiotherapie (Krankengymnastik) sind wichtig. Manchmal hilft auch ein Tapeing der Kniescheiben – Kinesiotherapie.

Nach einer konservativen Therapie kommt es etwa bei 17 % zu einer erneuten zweiten Patellaluxation. Das Risiko ist vor allem bei jungen und sehr aktiven Patienten mit einer ausgeprägten patellofemoralen Dysplasie und einer hochstehenden Knieschiebe (Patella alta) noch höher. Ab der zweiten Patellaluxation steigt die Wahrscheinlichkeit für einen neuen Vorfall auf etwa 50 %. In diesem Fall bespricht der Arzt mit dem Patienten, eine MPFL-Plastik oder MPFL-Repair im Bereich der medialen Kapsel und ggf. einen knöchernen operativen Begleiteingriff.

Manchmal ist auch bereits nach dem ersten Herausspringen eine operative Therapie mit einer Naht des MPFL oder ein MPFL-Ersatz sinnvoll. Bei Begleitverletzungen in Form von Knorpel- oder Knochenabsplitterungen ist die Knieoperation unumgänglich, um die Entstehung von weiteren Knieschäden im Kniegelenk auszuschließen.

Der letzte Teil der Artikelserie beschäftigt sich mit der operativen Behandlung einer Patellaluxation in Form einer MPFL-Plastik sowie die Nachbehandlung bei MPFL-Ersatz.

Über die Autorin

Dipl. Psychologin Katrin Glunk | Personal Coach, Fitness- und Reha-Trainerin.

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