Eine Wiederverletzung nach einem Kreuzbandriss scheint häufiger zu sein, als es uns die Ärzte glaubhaft machen wollen. In den 90er Jahren gingen Mediziner noch davon aus, dass etwa 90 % der erfolgreich am Kreuzband operierten Sportler dauerhaft zum Wettkampf zurückkehren. Doch neuere Studien aus dem Jahr 2013 zeigen, dass etwa ein Viertel aller jüngeren Sportler, eine zweite Kreuzbandverletzung innerhalb der ersten fünf Jahre erleiden – und damit eine erneute Rückkehr zum Sport und Spiel, immer weniger wahrscheinlich ist [1].
Dabei scheint die Wahl der Autograft-Sehne (Patellar- bzw. Hamstring-Sehe), eine untergeordnete Rolle zu spielen. Auch die Beinseite (dominantes Spielbein oder nicht) zeigte keinen messbaren Effekt auf die Wiederverletzungsrate nach Kreuzbandrissen.
Angst vor der Wiederverletzung nach Kreuzbandriss
Die Angst vor einem erneuten Kreuzbandriss unter Sportlern ist bekanntlich hoch. Eine aktuelle Studie in der American Orthopädische Gesellschaft für Sportmedizin legt nahe, dass diese Ängste auch gerechtfertigt sind.
Paterno MV. et al. haben die Daten von 78 Patienten nach einer Kreuzbandrekonstruktion mit denen von 47 gesunden Kontrollpersonen (Alter von 10 bis 25 Jahren) verglichen. Sie beobachteten beiden Gruppen 24 Monate lang; alle Sportler führten Sportarten mit extremen Pivoting-Bewegungen aus. Die Autorgruppe fand heraus, dass die jungen vorgeschädigten Athleten einen zweiten Kreuzbandriss wesentlich häufiger erlitten.
Studienergebnisse im Einzelnen:
- 29,5 % der Athleten mit einer Kreuzband-Vorgeschichte unterlag einer erneuten Kreuzbandverletzung. Bei der Kontrollgruppe erlitten lediglich 8,5 % einen Kreuzbandriss. Damit lagen die Rate der Wiederverletzung und damit das Risiko, um ein vielfaches über der, der gesunden Kontrollgruppe.
- 17, 4 % der Kreuzband-Gruppe erlitten ihren zweiten Riss im Kreuzband kurz nach der Rückkehr zum Wettkampfsport. 30,4 % der Sportler wurden innerhalb ihrer ersten 20 Einsätzen und 52,2 % in weniger als 72 Einsätzen, neu verletzt.
- Besonders die weiblichen Sportler hatten eine vierfach höhere Verletzungsrate innerhalb der ersten 24 Monate im Vergleich zu ihrer gesunden Kontrollgruppe. Zudem war bei ihnen fast doppelt so häufig, die gesunde Gegenseite vom zweiten Kreuzbandriss betroffen.
Fairerweise muss man dazusagen, dass 125 Sportler – 78 mit einer Kreuzband Geschichte und 47 Probanden ohne Vorverletzungen – eine ziemlich geringe Stichprobengröße darstellt. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Teilnehmer der Untersuchung im Alter von 10 bis 25 Jahren lagen und deshalb eine Übertragung auf die Gesamtbevölkerung, eingeschränkt möglich ist.
Unbestritten ist die Meinung in der Fachwelt, dass das Risiko nach einem Kreuzbandriss für jede weitere Knieverletzung steigt. Die Prozentzahlen variieren – Meiner Meinung ist jede Re-Ruptur zu viel, die durch Aufklärung, richtiges Training und Leistungstests verhindert werden könnte.
Rückkehr zum Sport nach Kreuzbandriss
„Return to Sport“ oder „Return to Play“ – kaum ein Sportler kann diesen Zeitpunkt abwarten. Das Comeback – monatelang fiebert und trainiert jeder Athlet nach seiner Kreuzbandruptur darauf hin. Kein Wunder, dass sich die aggressive, frühfunktionelle Knie-Reha immer mehr durchsetzt – nicht zuletzt neben neuen Operationstechniken auch durch den Wunsch bzw. Druck des Patienten, dass sich diese Zeitspanne verkürzt.
Eine Studie der NFL-Spieler (National Football League), die sich einer Kreuzband-OP unterzogen ergab, dass nur 63 % der Spieler innerhalb von sechs Monaten auf das Sportfeld zurückkehrten [2]. Eine weitere Studie der High-School und College-Football-Spieler zeigten ähnliche Ergebnisse. 63 % der High-School-Football-Spieler, und 69 % der College-Spieler schafften eine Rückkehr zum Sport innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Kreuzband-Operation. Aber nur 43 % von ihnen kehrten in ihr ursprüngliches Sportlevel zurück. Eine andere Studie unter Leistungssportlern zeigte, dass nur 33 % der Athleten innerhalb eines Jahres ihr Comeback schafften [3]. Dabei tragen Frauen grundsätzlich ein höheres Risiko für einen Kreuzbandriss und auch für eine Re-Ruptur.
Zeit allein nach Kreuzbandverletzung reich nicht aus
Mediziner ziehen in erster Linie, zur Beurteilung der Sportfähigkeit nach einer Kreuzbandverletzung, die vergangene Zeit seit der Kreuzbandoperation (post OP) heran. Das ist wichtig, denn der biologische Umbauprozess von der abgetrennten Sehne in das neue Kreuzband benötigt seine Zeit. Dieser biologische Prozess kann auch durch eine optimale Knie-Rehabilitation nicht beschleunigt werden. Doch allein der Zeitfaktor, als Entscheidungskriterium für die Rückkehr zum Sport, reicht nicht aus.
Letztlich zählen die dynamische Funktionsfähigkeit des Kniegelenks und dessen neuromuskuläre Kontrolle unter Belastung, im Kampf oder Sprung und bei wechselnden Geschwindigkeiten.
Doch wer prüft diese Parameter vor der Rückkehr zum Wettkampfsport systematisch? Ärzte oder Physiotherapeuten – meiner Erfahrung nach kaum jemand. In Deutschland fehlt die systematische Überprüfung aller Sport-Kriterien (Kraft, Agilität, Balance, Geschwindigkeit, Core-Kraft, Stabilität etc.) mit Funktionstests.
Begründet wird diese Diagnostik-Lücke auch mit der Tatsache, dass es kein allgemein verbindliches Test-Schema für die Rückkehr zum Sport gibt, übrigens genauso wenig, wie ein allgemeinverbindliches Nachbehandlungsschema. Zu beiden Themenbereichen gibt es keinen medizinischen Konsens – nur Richtlinien und einzelne Testverfahren.
Im Gegensatz dazu betritt kein Leistungssportler seine ursprüngliche Wettkampfarena, ohne nicht vorher einen entsprechenden Leistungstest, bestanden zu haben. Den Hobbyfußballer hingegen schicken seine Betreuer ohne intensives sportartspezifisches Training und Leistungstests zurück auf den Rasen. Das OK des Arztes, der Muskelaufbau und ein gutes Gefühl – das muss für die Sportfähigkeit reichen.
Studien zeigen, dass sich die meisten verletzen Sportler in ihrer Leistungsfähigkeit nach einer Kreuzbandoperation überschätzen. Kein Wunder, wenn die Tests ausbleiben und ihnen damit die systematische Rückmeldung über bestehende Defizite fehlt.
Meiner Meinung nach, bleiben bei der Entscheidung für oder gegen Wettkampfsport noch zwei weitere entscheidende Parameter in der späteren Knie-Rehabilitation unberücksichtigt, das sind die reaktive Bewegungsfähigkeit in nicht vorhersagbaren (Spiel-)Situationen und die allgemeine mentale oder psychologische Bereitschaft für den Sport nach einer Knieverletzung. Zwei unterschätze Parameter für die Wiederverletzung nach Knieverletzungen.
Funktionstests und sportartspezifisches Training
Aufklärung der Betreuer sowie ein intensives Training mit koordinierten Bewegungsmustern, wie beispielsweise Ein- und Zweibeinsprünge, Landung auf unebenen Oberflächen, Gleichgewicht, schnelle Bewegungswechsel und Koordination sind vor der Rückkehr zum Sport und damit zur Prävention von Wiederverletzung unerlässlich.
Das Ziel heißt, den Sportler in seinem Comeback-Prozess systematisch zu unterstützen. Er benötigt, Informationen, Feedbackprogramme, Funktionstests und nicht ausschließlich 20-Minuten Einheiten bei der Krankengymnastik oder Physiotherapie. Später bei der Mannschaft mittrainieren – reicht eben auch nicht.
Offensichtlich bedarf es an dieser Stelle noch mehr Forschung und vor allem Bewusstsein, dass eine Kreuzband-Reha nicht nach den üblichen sechs Monaten endet. Ein weiter Weg – den die Nachbehandlung nach Kreuzbandrissen, empfinde ich selbst „als das Stiefkind“ der Kreuzband-OP. Das ist ein Grund, weshalb ich einige Reha-E-Books zu diesem Thema zusammengestellt habe, denn als „Kreuzband-Frischling“ bedarf einen Plan und der Selbsthilfe.
Quelle:
[1] Shelbourne KD, Gray T, Haro M. Incidence of subsequent injury to either knee within 5 years after anterior cruciate ligament reconstruction with patellar tendon autograft. Am J Sports Med. 2009;37(2):246-251.
[2] Paterno MV, Schmitt LC, Ford KR, et al. Biomechanical measures during landing and postural stability predict second anterior cruciate ligament injury after anterior cruciate ligament reconstruction and return to sport. Am J Sports Med. 2010;38(10):1968-1978.